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Kommentare: 4 | Lesungen: 950 | Bewertung: 7.99 | Kategorie: Sonstiges | veröffentlicht: 09.05.2010

Wolvesgrey Kapitel 15 und 16

von

XV

Da sie unverletzt, aber nicht ansprechbar war, hatte man sie in die Psychiatrie eingeliefert. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und lebte in ihrer kleinen Welt. Keiner der Ärzte konnte sagen. wie lange dieser Schockzustand bei ihr dauern würde. Aus Tagen wurden Wochen, keine Besserung war abzusehen. Luisa stand immer am Fenster und sah den ganzen Tag hinaus. Doch an einem der folgenden Tage brachte ihr jemand das Frühstück, und sie bedankte sich dafür erstmalig gut hörbar. Der Pfleger hätte fast vor Schreck das Tablett fallen lassen. Sofort fragte er noch einmal nach und auch diesmal bekam er eine Antwort. Er eilte hinaus und gab sogleich einem der Ärzte Bescheid. Luisa hatte noch nicht ganz ihr Frühstück beendet, als sie von ihrem behandelnden Arzt aufgesucht wurde. Er stellte ihr viele Fragen, viele, die für sie unwichtig erschienen. Sie unterbrach die Fragen und stellte selber eine.


„Wie geht es meinem Freund, Mr. Kingston, und meinem Bruder? Was für ein Tag ist heute?’’

Sie sah hilflos in sein Gesicht, sie konnte sich noch nicht einmal an seinen Namen erinnern.



„Ihrem Freund geht es soweit gut, er ist noch im Krankenhaus. Ihr Bruder war leider schon tot, als wir ankamen. Sie sind jetzt fast sechs Wochen bei uns, Sie waren bis jetzt nicht ansprechbar. Schön, dass Sie nun wieder bei uns sind.’’

„Ich möchte ihn sehen, geht das?’’

„Warten Sie noch einen Tag. Dann sind Sie gefestigter und ich kann noch ein paar Tests machen. Bitte, das wäre wirklich besser für Sie.’’

Luisa musste schwer mit sich kämpfen und gab dann doch schließlich dem Arzt nach. Sie hatte einen Teil ihres Gedächtnisses verloren, aber der Arzt versicherte ihr, dass es schon bald wieder da sein und sie sich an alles erinnern würde. Ihr Unterbewusstsein blockierte es momentan, um sie zu schützen. Ein Teil von ihr hatte Angst, sich zu erinnern.

Trotz der Tests wollte der Tag für Luisa nicht zu Ende gehen. Er zog sich ins Unendliche, und ihre innerliche Unruhe nahm zu. Sie war nervös und wusste nicht warum. - Die Nacht war für sie unruhig, wilde Träume verfolgten sie. Sie spürte jeden Knochen am nächsten Morgen, und ihre Unruhe hatte noch mehr zugenommen. Das Frühstück hielt sie nur unnötig auf, aber sie zwang sich dazu etwas zu essen. Immer wieder schaute sie zur Uhr, und als es endlich Zeit wurde, hatte sie alle ihre Sachen schon gepackt. Sie wollte hinaus, an die frische Luft, den Wind auf der Haut spüren.

Das Taxi wartete schon auf sie, als sie hinauskam. Zum Glück hatte der Arzt ihr das Krankenhaus und die Zimmernummer aufgeschrieben, sonst hätte sie nicht gewusst, wohin man Steve gebracht hatte. Der Weg zum Krankenhaus war nicht sonderlich weit. Die Klinik, in der sie behandelt worden war, lag ziemlich außerhalb der Stadt, aber das Krankenhaus, in den Steve war, war in der Innenstadt.

Auf dem Weg zum Zimmer wurde es ihr etwas mulmig. Sie hatte Angst davor, was sie erwartete. Es war sehr ruhig in dem Zimmer, als sie hineintrat. Steve lag alleine in dem Zimmer. Leise ging sie zu dem Stuhl an seinem Bett, er schien zu schlafen. Ein Fernseher dicht unter der Decke lief ohne Ton. Vogelgezwitscher drang durch das offene Fenster nach innen. Während sie sich setzte, drehte er den Kopf und sah sie mit wütendem Blick an. Als er sie erkannte, hellte sich sein Blick wieder auf. Luisa atmete erleichtert auf und nahm seine Hand in die ihre.


„Wie geht es dir?’’

„Frag mich besser nicht, aber es ist schön, dass es dir endlich wieder besser geht. Geht es doch auch, oder?’’

„Ja. Nur erinnere ich mich noch nicht an alles. Was sagt der Arzt, wann du rauskommst?’’

„Tja, ich denke bald. Es ist ja nichts mehr zu tun an mir.’’

Steve lachte bitter, und Luisa sah ihn beklommen an. Sie wechselte schnell das Thema und erzählte ihm, dass sie noch zur Bank müsse, um ihre Geldgeschäfte zu regeln. Wenn es sein müsste, würde sie sich ein Hotelzimmer nehmen, damit sie nah bei ihm war. Seine Reaktion erstaunte sie. Es war, als wenn ihn das alles nichts anging. Sie blieb noch eine Zeitlang bei ihm sitzen und versuchte ein normales Gespräch mit ihm zu führen. Es scheiterte kläglich, also stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Bank.

Das Gespräch dort dauerte nicht sehr lange, die Bank legte ihr ihre finanziellen Möglichkeiten offen und eröffnete ihr, dass sie Zutritt zu ihrem Geld habe. Gut gelaunt kehrte sie zu Steve zurück und erzählte ihm, wie einfach alles war. Steve reagierte nicht auf ihr Geplapper und war abweisend. Luisa wurde langsam wütend und fauchte ihn böse an. Aber auch das reizte ihn nicht. Sie drängte ihn, sich zu erklären und wollte wissen, was ihn belastete. Er reagierte wütend und unbeherrscht.


„Lass mich in Ruhe und geh. Ich kann dich nicht mehr sehen. Du bist Schuld, dass ich mein Bein verloren habe.’’

„Wie kommst du denn darauf? Ich konnte doch nichts dafür.’’


Sie war geschockt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Steve half ihr dabei, denn er war noch nicht fertig.


„Geh, Luisa, geh aus meinem Leben. Ich kann und will dich nicht mehr sehen. Ich gebe dich frei, geh, wohin du willst, nur weg von mir. Du hast mir nur Unglück gebracht, und nun bin ich ein Krüppel. Das ist mehr als genug. Ich will dich nicht mehr in meiner Nähe haben, ich hasse dich.’’

Luisa sah ihn ungläubig an und verstand nichts mehr. Sie wagte einen Versuch, noch einmal mit ihm zu reden, aber er blockte ab, reagierte nicht, sondern ignorierte sie mit steinernem Gesicht. Erst versuchte sie es mit sanften Worten, doch dann schrie sie ihn voller Wut an. Es war zwecklos, und deshalb stand sie auf und ging zur Türe. Als sie sich zum letzten Mal umdrehte, liefen ihr dicke Tränen über die Wangen. Er hielt sie nicht auf und sah ihr auch nicht nach.

Sie sah nicht, wie Steve in sich zusammensank und still vor sich hin weinte. Sie hatte das Zimmer mit ihren Sachen schon verlassen. Draußen an der frischen Luft blieb sie abrupt stehen und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie redete sich ein, dass er sich melden würde, sobald es ihm besser ging. Nach etwa zehn Minuten glaubte sie es schon selbst.

Sie stieg in ein Taxi und fuhr nach Wolvesgrey. Sie wusste nicht warum, aber etwas zog sie förmlich dahin. Als das Taxi den bekannten Kiesweg hochfuhr, konnte Luisa das ganze Ausmaß sehen. Der Anblick von verkohlten Resten, die ehemals dieses großartige Haus waren, schockten sie auf ein Neues. Sie hielt den Taxifahrer an, einen Augenblick auf sie zu warten, und stieg aus. Sprachlos und entsetzt ging sie durch die Ruine. Es roch immer noch sehr stark nach verbrannten Dingen; sie atmete, so flach sie konnte. Mit dem Fuß schob sie verkokeltes Holz auf Seite, in der Hoffnung, dass sie etwas fand, das verschont worden war. Aber da war nichts, nur verbranntes Holz und verbrannte Erde. Langsam konnte sie sich wieder an den Tag erinnern, nur Bruchstücke, aber ihr Gedächtnis wollte zurückkommen. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie plötzlich die Augen zusammenkniff. Sie schaute ganz angestrengt auf einen Punkt. Im nächsten Augenblick ging sie eilig darauf zu. Mit den Händen räumte sie verbranntes, schwarzes Holz weg. Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Vorsichtig reinigte sie eine gelbrote Knospe vom Russ. Der Rosenbusch war angekokelt, und die Hitze hatte ihm zu schaffen gemacht, aber er war immer noch überlebensfähig. Sie richtete ihn, so gut es ging, wieder her und eilte dann nach vorne, Richtung Taxi. Sie fand auch dort den Rosenbusch. Er war umgeknickt, scheinbar war die Feuerwehr darüber gefahren. Sie richtete ihn wieder auf, er hatte noch genügend junge, gesunde Triebe und würde nächstes Jahr wieder blühen. Sie seufzte tief bei seinem Anblick und wollte zum Taxi gehen. In der Drehung wäre sie fast über den Stock gestolpert. Vorsichtig hob sie ihn auf und betrachtete ihn, er war unbeschadet. Sie erkannte getrocknetes Blut am Knauf, Ernestos Blut. Sie bekam ein seltsames Gefühl im Magen und wickelte den Stock schnell in ihren Mantel. Der Taxifahrer hupte nervös.


Sie ließ sich zum Flughafen fahren, sie wollte zum Haus ihres Bruders und ihr Erbe antreten. Sie führte ein Telefonat, und der Hubschrauber nahm sie kurze Zeit später dort auf.

Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge, und Luisa hatte sich in der Villa eingelebt. Sie hatte vieles mit der Hilfe von Dominik und dem Butler erledigen können. Die Sklavin ihres Bruders bekam einen größeren Betrag, wie auch Dominik, und ihre Freiheit wieder. Was Luisa als sehr sonderbar empfand, war die Tatsache, dass ihr Bruder kurz nach der Party sein Testament geändert hatte, so dass sie den Hauptteil erbte. Dominik beruhigte sie, er erklärte, dass Leonard immer alles geregelt haben wollte. Es war genau richtig, was er getan hatte.

Je mehr Wochen vergingen, desto mehr war Luisa in sich gekehrt. Sie vergrub sich in Arbeit und steckte alle Energie in die Organisation. Sie wollte den Traum ihres Bruders recht schnell umsetzen. Dominik und Stef unterstützten sie, aber sie konnten nicht mithalten. Sie sprühte vor Energie. Wenn sie allerdings abends nichts mehr zu tun hatte, fiel sie förmlich in sich zusammen. Sie wirkte um Jahre gealtert. Roy, dem Butler, fiel es besonders stark auf. Er war es ja, der die meiste Zeit abends mit ihr verbrachte. Er teilte Dominik seine Sorge um Luisa mit, aber beiden fiel keine Lösung ein. Luisa zog sich innerlich immer mehr zurück, ihre Blicke gegenüber Fremden waren kalt. Sie zeigte kaum eine Gefühlsregung. Oft stand sie stundenlang auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Roy hatte mehr als einmal die Befürchtung, dass sie jeden Moment springen würde.

XVI

An einem Nachmittag besorgte Roy etwas für Luisa in der Apotheke. Als er wieder auf die Straße trat, hielt ihn jemand am Arm fest. Er war so in Gedanken, dass er erschrocken zusammenfuhr. Als er aufschaute, sah er in Steves bekanntes Gesicht.


„Mr. Kingston! Sie hier? Wie geht es Ihnen?“

„Guten Tag, Roy. Ich hatte hier etwas Geschäftliches zu erledigen. Seit ich wieder auf meinen eigenen Beinen stehen kann und nicht mehr im Rollstuhl sitze, geht es wieder aufwärts. Es war eine schwere Zeit, bis ich die Prothese bekam, und ich habe sehr viel verloren durch meine damalige Dummheit. Aber wie geht es Ihnen, arbeiten Sie noch in der Villa?“

Roy sah ihn sehr nachdenklich an. Steve war sehr dünn geworden und sein Gesicht härter.


„Ja, Mr. Kingston. Ich arbeite für Miss Baker in der Villa. Sie hatte mich gebeten zu bleiben und ich habe es bis jetzt nicht bereut.“

„Luisa hat die Villa übernommen? Ich dachte, dass sie ihr zu groß sei und sie lieber auf Wolvesgrey bleiben würde. Ist jemand krank? ’’


Steve zeigte auf die Medikamente in Roys Hand.

„Nein, nur ein paar Migräne- und Schlaftabletten für Miss Baker. Sie hat nicht nur die Villa übernommen, sondern auch die Firma im Sinne ihres Bruders umgekrempelt. Sie ist eine sehr intelligente Frau.“

„Wissen Sie, was aus Wolvesgrey geworden ist? Wie geht es Miss Baker sonst? Verzeihen Sie, dass ich Sie so ausfrage, aber es interessiert mich sehr.“



Roy nickte verständnisvoll und sah ihm direkt in die Augen.


„Sir, wenn ich ehrlich bin: Ich mache mir Sorgen. Sie vergräbt sich in ihre Arbeit, lässt ansonsten niemanden an sich heran und ist in sich selbst versunken. Sie redet nur das Nötigste und empfängt keinen Besuch. Sie ist zu hart zu sich selbst und vereinsamt immer mehr. Sie fliegt einmal in der Woche nach Wolvesgrey, aber nur, um nach den Rosen zu sehen. Die Reste des Hauses hat sie entfernen lassen, aber neu aufgebaut wurde nichts. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie das überhaupt möchte.“

„Wie schätzen Sie denn die Lage ein, würde es gut sein, wenn ich sie besuche?“

„Fragen Sie mich das nicht, Mr. Kingston. Diese Frau ist unberechenbar, momentan. Aber wenn man es nicht versucht, wird man es nie erfahren.“

Die zwei Männer trennten sich mit einem festen Händedruck. Steve setzte sich in ein Café und dachte angestrengt nach. Dann griff er mit entschlossener Miene zum Handy und wählte eine Nummer. Er gab ein paar knappe Anweisungen. Als das er Telefonat beendete, war kurz dieses Lausbubenlächeln zu sehen, das früher immer zu ihm gehört hatte. Es würde ihn Mut und Kraft kosten, Luisa gegenüberzustehen. Aber er hatte es lange genug verdrängt und vor sich hergeschoben. Er winkte die Bedienung zu sich und zahlte seinen Kaffee.

Während der Fahrt zur Villa musste er sich immer wieder Mut zusprechen. Er erkannte, wie jämmerlich er sich doch verhielt. Er war über sich selbst entsetzt und ermahnte sich nun lautstark in einem Selbstgespräch. Der Weg zur Villa zog sich endlos in die Länge. Als er sie schließlich vor sich auftauchen sah, zitterte er vor Nervosität. Vor der Türe holte Steve noch einmal tief Luft, dann betätigte er den Türklopfer. Nach kurzer Zeit öffnete Roy die Türe, er nickte Steve lächelnd zu, brachte ihn in die Halle und bat ihn um etwas Geduld. Roy verschwand lautlos im Arbeitszimmer. Nach einigen Sekunden kam er zurück. Er schüttelnde traurig den Kopf.

„Sagen Sie ihr, dass ich nicht gehen werde, bis sie mit mir geredet hat. Ic

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Kommentare


Terginum
(AutorIn)
dabei seit: Jul '09
Kommentare: 5
Terginum
schrieb am 01.07.2010:
»Schade, dass so gar kein Feedback mehr zum Schluss kommt.«

espri
dabei seit: Jun '01
Kommentare: 5
schrieb am 19.11.2010:
»das Ende ist schön .. fast schon zu schön und zu glatt. Aber ansonsten viiiiel Gefühl und eine gut konzipierte Handlung.«

buggy70
dabei seit: Jan '11
Kommentare: 1
schrieb am 20.02.2011:
»Eine schöne geschichte!Hat mir sehr gut gefallen!Stimmig von vorn bis zum schluss!Mach weiter so!!!«

Snuffy
dabei seit: Apr '03
Kommentare: 1
schrieb am 02.06.2011:
»Hallo, eine super Geschichte, mache bitte weiter " Vielen Dank" Mfg:«



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