1.6.05, 14:18 - Betreff: Die fade Politik... | |
tyami | ahoi... zur einleitung: am 2. märz 2005 erklärte der sozialsprecher der österreichischen volkspartei (övp) im nationalrat (pendant zum deutschen bundestag), walter tancsits, dass opfer des ns-regimes, die wegen ihrer homosexualität verfolgt wurden, nicht unter das ns-fürsorgegesetz fallen. soll heißen, sie haben für die aufgrund ihrer sexuellen neigung erlittene verfolgung, im unterschied zu anderen verfolgten gruppen, keinen anspruch auf entschädigung durch die republik österreich. tancsits wurde daraufhin von einem aktivisten der homosexuelleninitiative HOSI als "geistiger nachfahre der braunen nazi-schergen" bezeichnet. seine klage gegen diesen vorwurf wurde am 31. mai 2005 in 1. instanz abgewiesen. debattiert, und DAS ist der eigentliche anstoß für mein anliegen, wird hauptsächlich darüber, ob der vorwurf gerecht war (bzw. über ein anderes politikum, das hier zu weit führt), und nicht über den grund, der zu dem vorwurf führte. so. ich will keine austrophobe, antikatholische oder anderswertig einseitige debatte entfachen, die in leicht reproduzierbaren billigklischees endet. ich will auf etwas ANDERES hinweisen: verfolgung homosexueller ist, ungeachtet der menschenrechte, die das ausdrücklich verbieten, in vielen teilen der welt gängige praxis, sei es offen wie in manchen islamischen ländern, halboffiziell wie in den USA oder österreich, durch die schleppende und halbherzige behebung von gesetzen, die der grundrechtscharta und/oder der verfassung widersprechen. dies ist nicht zuletzt dadurch möglich, weil es von der "schweigenden mehrheit" (also von "uns") entweder nicht wahrgenommen, bewusst ausgeblendet oder im stillen akzeptiert wird. meine erste frage: wie SOLL mit diesem machtmissbrauch umgegangen werden? ich setze als gegeben voraus, dass die nichteinhaltung der (von diesen staaten mitunterzeichneten) menschenrechtscharta aus weltanschaulichen gründen "machtmissbrauch" darstellt. die spontane, private entrüstung, das trotzige pochen auf grundrechte ist gut und schön. aber wenn politische entscheidungsträger (und die övp ist in vorliegendem beispiel kanzlerpartei) diese grundrechte durch mangelnden vollzug blockieren, hilft das den betroffenen überhaupt NIX, und wenn sie 1000 mal recht hätten. und: die einschränkung sexueller freiheit trifft heute homosexuelle - morgen vielleicht die nächsten (wenn das nicht ohnehin schon der fall ist). ich kann die allgemeine politikmüdigkeit nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht unbedingt teile. ABER: es ist nur eine seite, ob wir uns mit politik beschäftigen - die andere seite, und die unter umständen wichtigere, ist die, ob sich "die politik" mit uns beschäftigt... und wie sie es tut. sexuelle neigungen und das ausleben selbiger ist, von mir unbestritten, privatsache. das soll aber nicht heißen, dass die privatsache nicht auch politisch werden kann, oder muss. nein, nein, keine neue bewegung gründen, ich hab kein führer-syndrom. aber ich will zwei gedanken formulieren: 1. besteht unter sevac-usern überhaupt interesse an politischem diskurs und/oder hintergrundinformationen, in dem fall vorwiegend sachspezifisch, und inwieweit ist dieses interesse verwertbar? wobei, auch gleich dazugesagt, sevac natürlich als plattform dienen KANN, aber nicht MUSS. 2. an die autor/inn/en: es ist meine subjektive wahrnehmung, aber ich habe doch zu oft den eindruck, dass der "gesellschaftliche" anteil in sehr vielen geschichten zu kurz kommt. verglichen zur realität erscheint mir manches gar zu unausgesprochen "sozialromantisch" (und ich geb gern zu, dass mir das in meinen eigenen fantasien oft genug passiert). die waffe des schriftstellers ist das geschriebene wort, heißt es... nachdem ich weiß, dass viele "kollegen" und "kolleginnen" nicht einfach "vorlagen" produzieren, sondern auch was "zum sagen" haben, stell ich das jetzt so in den raum. das möge bitte nicht als vorwurf, schon gar nicht an einzelne, gedacht sein, sondern nur zur anregung... und sei es nur die wiederbelebung der diskussion, ob "politik" in die erotische literatur gehört. bye, tyami |
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1.6.05, 16:08 Uhr | |
zerozero | Als "halber Österreicher" (Vater) liegt mir das Thema am Herzen, daher hier meine Antwort Zu der Thematik 2 Vorbemerkungen: 1. In österreich hat es schon immer ene "recht lebhafte Diskussion" darüber gegeben, in wie weit der Staat überhaupt an irgendwelche Opfer der NS Zeit zahlen sollte. Die historischen Hintergründe für diese teilweise "Duck dich Haltung" sind wahrscheinlich bekannt. 2. Die ÖVP ist auch so ein Thema für sich. Sie kann nicht so einheitlich in ihrer politischen Grundausrichtung aufgenommen werden, wie etwa die CDU in Deutschland (bitte erspart mir die aktuellen Diskussionen jetzt im Wahlkampf) und muss politisch in etwa mit der CSU gleichgesetzt werden, teile stehen rechts daneben. Unvergessen ist wohl die Koalition mit der ehemaligen Haider Partei FPÖ. Das soll nur zeigen, mit wem es zu tun haben und trotzdem hast du natürlich recht, dass diese Äußerung schärfste Kritik verdient und Herr Tancsits seinen Hut hätte nehmen müssen. Musste er aber nicht, er hat meines Wissens eine offizielle Abmahnung aus der Partei bekommen, was natürlich viel zu wenig ist. Seine Stellung in der Partei ist aber auch nicht unumstritten, was diverse Vorschläge zeigen, ihn nach Europa zu "befördern", wie es auch nach der letzten EU Wahl im Gespräch war. Aber man sollte nicht von Machtmibßbrauch im zusammenhang mit solchen Leuten sprechen. Ich bin immer froh, wenn sie ihre Maske derart fallen lassen, denn solche Leute sind für die Regierunsgpartei einfach nur peinlich. Gerade im zusammenhang mit Europa wäre eine wichtigere Aufgabe als der Sozialsprecher im Nationalrat undenkbar. Iatliens Isolation ist ein schönes Beispiel hierfür. Ich denke, es gibt nur einen wirklichen Weg mit solchen Leuten zu verfahren und das ist der Demokratische. Jeder hat gewisse Grundrechte (selbst in Österreich), d.h. soll er seine Meinung offen sagen. Wenn die Leute das Okay finden und ihn wieder wählen, okay, thats democrazy (und ich bin froh, ein Deutscher zu sein), oder aber die Leute wählen ihn einfach nicht mehr und gut ist es. Oder aber (was das mit Abstand wahrscheinlichste ist) er wird einfach von der Partei vor der nächsten Wahl aussortiert, weil so jemand eine tickende Zeitbombe in der Wahlkampfsituation ist. denn die jenigen, die er mit solchen Sprüchen erreichen könnte, wählen entweder dei FPÖ oder aber sowieso die ÖVP, auch wenn er solche Sprüche nicht bringt. Aber er verschreckt mit solchen Sprüchen eine ganze Menge Leute, die sie vielleicht gewählt hätten. Ergo, dass Problem löst sich über kurz oder lang in einer Demokratie von selbst, was zumindest den Aspekt angeht, dass solche Leute an der Macht bzw. an der Macht beteiligt sind. Und wenn es keine Demokratien mehr sind, na ja, daran wohlen wir jetzt nicht denken Was deine Meinung zu den Geschichten angeht, so hast du Recht, dass es manchmal für den Leser schöner wäre, etwas realistischeres zu schreiben, was die Gesellschaft angeht. Aber es ist nicht einfach, seine erotischen Fantasien mit etwas Gesellschaftkritik zu dosieren (es sei denn, man steht ganz auf dem linken Teil der Waage). Gruß ZeroZero |
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1.6.05, 19:01 Uhr | |
tyami | gut. nur ein paar anmerkungen: 1. ist haiders bzö (abspaltung der fpö) immer noch teil der regierung, und die haltung tancsits´ innerhalb der övp (fast) allgemeiner konsens. homosexuelle, die aufgrund von nicht verfassungskonformen urteilen haftstrafen verbüßten, wurden bis heute nicht entschädigt - trotz einschlägiger urteile des EuGH. 2. ist das problem kein "typisch österreichisches". kerry hat den us-wahlkampf 2004 nicht zuletzt deswegen verloren, weil er für die gleichberechtigung homosexueller eintrat. in saudi-arabien, jemen und einigen anderen islamischen staaten ist homosexualität mit dem tod bedroht, was auch vollzogen wird. und das ist die spitze des eisbergs, versteckte "diskriminierung" (und bereits die ist verboten!) wird oft nicht einmal wahrgenommen. 3. widerspricht das recht auf freie meinungsäußerung dem recht auf nichtdiskriminierung, wenn durch ersteres das letztere in zweifel gezogen oder zu fall gebracht werden soll. 4. und letztens ging es mir nicht um "schönere" geschichten (doch, auch), sondern vor allem um einen ehrlichen umgang mit der realität. sonst könnten wir genauso gut fragen, was es notwendig macht, die darstellung von inzest zu verbieten. sodomie. pädophilie. nekrophilie... sind doch nur fantasien. geschichten. tun niemandem weh. bye, tyami p.s.: gute erotik und das reflektieren gesellschaftlicher vorurteile schließen einander nicht unbedingt aus. aber das SOLL und muss jedem und jeder selbst überlassen bleiben. |
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1.6.05, 21:30 Uhr | |
zerozero | Da habe ich dann auch wieder einige Anmerkungen dazu. Die einfachste zu erst: Schön war ein Füllwort (Sorry Serenity) und ich bin mit dir da völlig einer Meinung, was den Bereich der Geschichten angeht. Das wollte ich eigentlich schon mit meinem ersten Beitrag sagen, da können wir einen Haken dran machen. 2. Und das stimmt mich fast traurig, es zu sagen, aber Kerry hat sicherlich nicht ursächlich wegen seiner Haltung gegenüber den Homosexuellen die Wahl verloren (Clinton sah das ganz genau so, er war ja sexuell sowieso sehr offen und Gore hatte mit derselben Parole die Mehrheit der Stimmen geholt). Die Situation in Amerika war halt etwas besonderes und Bush hat sich mit seiner Anti Homo Rhetorik diesesmal bemerkenswert zurück gehalten (gerade im Vergleich zu 2000). Und dann kommen da noch hunderte von Punkten hinzu, die diesen Rahmen bei weitem sprengen. 3. Ich habe versucht es anzudeuten, das Österreich schon mal etwas komisch sein kann, aber schau dir die letzen Wahlen dort an. Die Radikalen sind gefallen und die beiden Parteien um die Mitte gestiegen. 4. Wie viele islamische Demokratien kennst du? Wie viele davon wurden nicht mit freundlicher Unterstützung des Westens auf den Weg gebracht? Es tut mir leid, ich möchte mich hier nicht über den Islam auslassen, weil es erstens gesetzetswidrig wäre und ich zweitens niemanden kränken möchte, daher belasse ich es bei meiner aussgangsfrage und denke, dass genug durchkommt (und ja, auch ich kenne genügend nette udn aufgeschloeßene moslems). Es gibt viele Defizite auf der Welt, aber und vielleicht bin ich der Naive damit, ich bin dankbar, Europäer zu sein und glaube an die Selbstheilungskräfte der Welt |
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1.6.05, 23:59 Uhr | |
Why-Not | Gesellschaftskritik in erotischen Stories Ich bin ja schon gelegentlich dabei "erwischt" worden, gewisse "Entwicklungen" nebenbei aufs Korn zu nehmen. (Globalisierung und Überwachungswahn in "Verenas letzter Auftrag", kleine Kopfnüsse in Richtung Kirche in "Dämonenwelt", Abschaffung der Freiheit zur Verteidigung derselben in "Die Erhabenen II"). Allerdings verfasse ich keine politischen Manifeste, sondern ich schreibe (hoffentlich) unterhaltsame Geschichten. Ich möchte vor allem, daß es Spaß macht, meine Stories zu lesen. Wenn ich dabei als Nebeneffekt einige Leute dazu bringen kann, über bestimmte Entwicklungen nachzudenken, freut mich das. Aber ich gebe mich nicht der Illusion hin, viele Leute wachrütteln zu können. Außerdem verträgt es sich auch nicht mit meinem "Happy-End-Fetisch", die Geschichten zu deprimierend werden zu lassen. Und ich finde, daß positive Beispiele nicht nur angenehm zu lesen sind, sondern daß sie vielleicht auch eine Orientierungshilfe geben können. In einigen längeren Geschichten von mir agieren die Protagonisten in einer kühlen oder grausamen Welt, verhalten sich selbst jedoch "vorbildlich". Das ist für mich dann keine "Sozialromantik", sondern mein Beitrag dazu, den "richtigen" Weg zu zeigen (oder was ich dafür halte). Why-Not |
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2.6.05, 20:57 Uhr | |
zerozero | Why-Not: Ich glaube, dass es zum Beispiel dir gelingt, diese Kritik so an zu bringen und die Geschichte trotzdem unterhaltsam zu schreiben, hat damit zu tun, dass mal als Autor in unserem Genre einen Heimvor- (nach)teil hat. Wir sind es gewohnt, dass diese Form der Sexualität nicht unbedingt überall mit offenen Armen empfangen wird, wir führen aber trotzdem ein lustvolles Sexleben (zumindest ich) unseren Vorstellungen entsprechend. Das macht es dann auch einfacher zu schreiben, was alles schief läuft und wie man trotzdem auf seine Kosten kommt. Bitte, nicht falsch verstehen, dass ich damit meine, dass alle Randgenre Autoren den totalen Durchblick haben und es einfacher besser formulieren können und die "Normalos" es nicht können. Das denke ich nicht, es wäre empirisch unhaltbar. Es ist nur ein Gedankenansatz, ich wünsche mir halt auch mehr Geschichten, die auch ein bisschen die Wirklichkeit wiederspiegeln. Gruß ZeroZero *der vehement gegen eine Cuckoldkategorie in einem erotischen Board ist* |
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