Stress im Job, Reizüberflutung, zu hohe Erwartungen an den Partner
- Frust vertreibt die Lust - aus deutschen Betten. Die verführerische Lösung: Sex braucht Ruhe, Rituale und manchmal neue Ideen.


Das Licht in seinem Sprechzimmer hält der Doktor gedimmt, denn seinen Patientinnen ist der Weg zu ihm peinlich genug. Vor einem Jahr hat Dr. Johnann Sievers (47) in Hamburg seine Praxis für sexuelle Störungen der Frau eröffnet. In Deutschland ist er der erste, der die weibliche Lust analysiert und behandelt. Ein Markt mit Zukunft: Nie zuvor offenbarte sich die Last mit der Liebe so deutlich, wie heute. Und nie zuvor war der Leistungsdruck gerade für Frauen so groß.

„Tote Hose“ in deutschen Betten? Zumindest der Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit wird in aktuellen Studien belegt. Auf den Titelseiten der Zeitschriften lockt zwar halbnacktes Fleisch, im Internet räkeln sich lüsterne Gefährtinnen der Nacht, aber in deutschen Schlafzimmern bewegt sich oft nur die Gardine im Abendwind.

Besonders dramatisch ist der Lustverlust bei Männern im potentesten Alter. Dr. Frank Sommer, Begründer des Lehrstuhls für Männergesundheit an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf, befragte 10 000 Probanden. Danach hatten junge Männder vor 30 Jahren noch
18 – 22 mal im Monat Sex, heute nur noch vier bis zehnmal. Auch die 30- bis 40-Jährigen schlaffen ab: Vor 30 Jahren waren sie acht- bis zwölfmal im Monat aktiv, heute drei- bis sechsmal. Der Grund?
„Jeder Mensch hat ein Fass von Triebenergie“, so Sommer. „Heute gibt es privat und beruflich zu viele Faktoren, die uns Energie abziehen.“

Wichtigste Erkenntnis: Beruflicher Stress und Angst vor Arbeitslosigkeit, falsche Lebensgewohnheiten, sowie der Druck der Medien machen den Männern zu schaffen. Bei den Frauen ist alles – wie so oft – noch viel komplizierter.

Nur der Sex ist noch exklusiv

Was der Lust grundsätzlich im Wege steht, ist eine völlig überspannte Erwartungshaltung. „Früher war man froh, überhaupt einen Partner zu haben“, so der Psychologe Dr. Ragnar Beer (40) von der Universität Göttingen, der via Internetberatung (theratalk.de) die sexuellen Ressourchen von Paaren wecken will. „Heute ist Sex der einzige Lebensbereich, der ausschließlich auf den Partner beschränkt ist.“ Das Exklusivrecht soll es bringen, tut es aber nicht. Steil fällt die Kurve für sexuelle Zufriedenheit ab, pendelt sich nach zehn Jahren bei stabiler Unzufriedenheit ein. Beer: „Die schwärzeste Kurve, die ich als Forscher je gesehen habe.“

Längst erlahmt auch der Hype um die Wunderpille Viagra. Die blaue Lustbombe – in Deutschland seit Einführung im Jahre 1998 mehr als 40 Millionen Mal verschrieben – wirkt nur, wenn das Begehren schon geweckt ist. Wo sich im Kopf nichts rührt, kann auch die Chemie nichts reißen.

Die Forschungen an einer Lustpille für die Frau hat der Pfizer-Konzern vorerst eingestellt. Erklärung: „Die bisherigen Ergebnisse der klinischen Studien mit dem Wirkstoff Sildenafil zur Behandlung von Störungen der sexuellen Erregbarkeit der Frau (Female Sexual Arousal Disorder – FSAD) reichen nicht aus, um eine Zulassung für dieses Anwendungsgebiet zu beantragen.“ Die weibliche Sexualität entzieht sich eben schnellen Reparaturversuchen. „Bei uns spielt die Seele mit, die können sie durch Medikamente schlecht beeinflussen“, so Beatrice Poschenrieder (40) Autorin und Sexualberaterin („Besser lieben“ RTL).

Die Lust der Frauen wird seziert

Dennoch: Während sich die Männer hinter die sexuelle Frontlinie zurückgezogen haben, liegt nun die Lust der Frauen auf dem Seziertisch. Der Orgasmus, das unbekannte Wesen. Arte widmet den „Geheimnissen eines Hochgefühls“ einen Themenabend, zur Buchmesse in Frankfurt schwellen die Stände mit Ratgebern an. „Stöhnst du noch, oder kommst du schon?“ betitelt Poschenrieder den „sicheren Weg zum Orgasmus.“ Dabei liegt ihr am Herzen, den Leistungsdruck wegzunehmen. „Es ist ganz normal, dass Frauen nicht so leicht kommen. Da muss man nicht gleich ein Problem daraus stricken.“ Auch das Wort „frigide“ möchte sie aus dem Wortschatz aller Paare verbannen. „Ein Totschlagargument.“

Leicht gesagt. Zur Leistungsschau im Bett gehört nicht nur der Mann, der immer kann, sondern auch die Frau, die immer kommt. Und sich als Mangelwesen fühlt, wenn das Feuerwerk ausbleibt.

Früher war der weibliche Orgasmus kein Thema, heute ist er ein „Must“ und führt zu neuem Leistungs- und Leidensdruck.
In der Praxis von Johann Sievers wird das Geheimnis der weiblichen Lust nach verschiedenen Kriterien untersucht: Störungen der Lust, Störung der Erregung, Störungen des Orgasmus und Schmerzen beim Verkehr. Ein teures Kontrollgerät aus Israel und ein Ruheraum mit Kuschelsofa bilden das Zentrum der Erkenntnis. Während sich die Frau im Nebvenzimmer manuell zum Höhepunkt bringt, misst das Gerät, ob die Durchblutung der Geschlechtsteile stimmt.

Helfen kann Sievers, indem er den Hormonstatus bestimmt, den Beckenboden beurteilt, die Durchblutung misst un die Schmerzsymptomatik abklärt. Vor allem Patientinnen über 50 klingeln an seiner Tür. Ein Phänomen verlängerter Lebenszeit: Frauen jenseits der Menopause, die ihr Sexualleben früher in allen Ehren ad acta legten, sind wieder im Rennen. Nicht zuletzt, weil ihre Partner den altersbedingten Testosteronabfall mit Medikamenten ausgleichen können. Sievers: „Ich sehe viele Patientinnen, die eine enorme Einbuße an Lebensqualität haben, weil die Partnerschaft kaputtgeht. Auch von daher ist es eine Überlegung wert, sich beraten zu lassen.“ Der Lustexperte geht so weit, seinen Patientinnen durchblutungsfördernde Medikamente zu verschreiben, die sonst Männern helfen. Sievers:
„Wenn keine Herz-Kreislaufprobleme vorliegen, kann man es probieren. Bei Frauen mit Erregungsstörungen haben wir gute Erfahrungen gemacht. 30 bis 40 Prozent der Frauen kommen mit diesen Medikamenten über die Orgasmusschwelle.“

Unbestritten ist der gesundheitliche Wert der körperlichen Liebe. Endorphine machen high, das Glückshormon Serotonin sorgt für gute Laune, Dopamin baut Stress ab. Ein erfülltes Sexualleben schützt außerdem vor Depressionen und Herzinfarkt. Kein Wunder, dass gerade Rentner – befreit vom Berufsstress, ausgestattet mit Muße und Zeit – wieder Spaß an der Erotik finden. Ältester Patient im Hamburger Institut für Männergesundheit war ein 86-Jähriger mit hohem Leidensdruck und mangelndem Stehvermögen. Dem Manne konnte mit einem Implantat geholfen werden.

Der Themenabend in arte beginnt heute um 22:10 Uhr und geht bis ca 0:15 Uhr

Serenitylol3
*C3 gefährdet ihre Gesundheit