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Thema30.10.06, 21:14 - Betreff: After AIDS Party
sexophone
Beiträge: 1/3
dabei seit: Dez '02
sexophone
Natürlich, erst habe ich mich als Autor dieser Geschichte gewaltig geärgert über Serenities Einleser-Text, der wie ein Verriss wirkt, den ich nicht verdient zu haben glaube (zumal serenitas "Heiterkeit" heißt). Als ich dann aber weiter darüber nachsann, war ich doch erstaunt, wie sehr sich ein Teil der Story tatsächlich im Kommentar zu ihr wiederholt, eine Selbstreflektivität ganz besonderer Weise.

Offenkundig fällt es, 20 Jahre nach AIDS, nicht allen leicht, sich auf die utopistische Annahme einzulassen, AIDS könnte besiegt sein. Es scheint nicht mehr viel vorhanden zu sein von der sexuellen Revolution der 70-er Jahre und frühen 80-er Jahre, wenn man von sexualisierter Werbung und dem Millionen-Business Porno einmal absieht, deren Hauptzielgruppe der einsamen Wichser vor dem Bildschirm sich als Sinnbild der sexuellen Befreiung ohnedies nicht besonders gut eignet.

Was wäre, gesetzt den Fall, AIDS wäre morgen Vergangenheit, noch übrig in uns an Fähigkeit zur sexuellen Freiheit?

Offenkundig haben die Kampagnen ihre Wirkung nicht verfehlt. Nach der Verbreitung von AIDS war es nicht mehr nötig, mit Moral und Werten zu argumentieren, denn die Angst vor der tödlichen Infektion erwies sich als weit wirkungsvoller als jede noch so sorgsam ziselierte moralische, religiöse oder kulturelle Argumentationslinie. Vor AIDS, da wurde auch das Wort Menschenverachtung gebraucht, ich erinnere mich an eine Religionsstunde, wo es als menschenverachtend bezeichnet wurde, mit einem Partner nur Sex haben zu wollen, um ihn „hinterher wegzustellen, wie ein leeres Glas“ (wobei absichtsvoll verschwiegen wurde, dass ein Glas noch nie Spaß gehabt hat, benutzt zu werden, ein Partner, eine Partnerin sehr wohl solchen empfunden haben kann). Ich vermochte schon damals nichts Menschenverachtendes darin zu erkennen.

Meine Story sollte ja auch eine kleine Kulturgeschichte der sexuellen Befreiung sein – und ihr ein weiteres, vorerst fiktionales, Kapitel anfügen. Vor AIDS, da gab es eine wirksame Empfängnisverhütung und eine wirksame Behandlung der damals bekannten sexuell übertragbaren Erkrankungen, auch die „Lustseuche“ Syphilis, eine furchtbare, zur völligen Zerstörung des Kranken führende Infektion, war nach Jahrhunderten durch antibiotische Therapie erstmals heilbar. Das bürgerliche Wertegebäude war arrodiert, die 68-er Generation hatte (auch) die sexuelle Befreiung ausgerufen und war (auch hier) erfolgreich, obschon nicht in der initial intendierten Radikalität („wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment…“). Zu Beginn der 80-er Jahre, ich weiß das genau, denn ich hatte mit Anfang zwanzig daran Teil, da gab es eine reale sexuelle Libertinage, nicht mehr verbiestert politisch begründet, sondern eher hedonistisch gelebt. Daran sollte die Geschichte anknüpfen.

Doch jetzt, 20 Jahre später, führt die Zumutung der Utopie, dass das Ungetüm AIDS plötzlich geschrumpft sein könnte auf das Maß einer normalen Erkrankung, gegen die man impfen kann wie gegen Masern und Mumps, zu zwei Reflexen.

Erstens zum Versuch, doch noch mal das Drohszenario der tödlichen Erkrankung zu instrumentalisieren und die Protagonisten der Geschichte als „naiv“ in ihrem Glauben an die Wirksamkeit der Impfung zu verunglimpfen, hilfsweise auch die sexuell übertragbaren Erkrankungen hervorzuholen, deren gute Behandelbarkeit schon die erste sexuelle Revolution begünstigt hatten, aber vielleicht haben das die Leute ja inzwischen vergessen. Was die Erwähnung japanische Comics in diesem Zusammenhang soll, bleibt mir allerdings verschlossen, vielleicht möchte der Rezensent hier mit der Demonstration seiner Weltläufigkeit über die Kleinkariertheit seiner Argumentation hinwegtäuschen.

Zweitens, und das ist noch viel schlimmer, zum Auspacken der moralischen Keule. Das Wort der Menschenverachtung habe ich im Zusammenhang mit konsensuellem Sex zwischen Erwachsenen seit jener Religionsstunde in den späten 70-er Jahren nicht mehr gehört, und das Verdikt von der Dekadenz auf einer Website, die sich ja explizit den von anderen vielleicht als dekadent betrachteten sexuellen Eskapaden widmet, hat mich am Ende dann doch erstaunt. Hey, Du rezensierst nicht für den Altöttinger Liebfrauenboten, sondern für Sevac!

Könnte es sein, dass uns die Vorstellung des wieder möglichen ungezwungenen Sex ohne Furcht vor AIDS am Ende Angst vor etwas anderem macht? Dass wir uns mit der sexuellen Freiheit, unser eigenen und der unserer Partner, wieder auseinandersetzen müssen? Dass wir uns wieder mit der Begründung von Verboten abmühen müssen, weil sich wegen AIDS nichts mehr ohnedies von selbst verbietet?

Ich staune, wie die Utopie einer Ära nach AIDS in der Realität des Jahres 2006 zu den gleichen argumentativen Reflexen führt, die ich eigentlich erst mit der Verfügbarkeit einer realen AIDS-Impfung erwartet hätte. Ich habe diese Argumentationslinien, zumindest partiell, in meiner Kurzgeschichte gezogen und damit die Psychopathologie der Rezeption – unabsichtlich! – antezepiert.

So, und nun wünsche ich uns allen, dass es diese Impfung irgendwann tatsächlich geben wird, vielleicht allerdings erst zu einem Zeitpunkt, an dem meine Altersgenossen und ich keinen Benefit im von der Story skizzierten Sinne mehr haben werden … (und bitte jetzt keine medizinischen Besserwissereien von der Variabilität der Antigene und von Mutationen und solchen Sachen, das sollte man besser denen überlassen, die wirklich etwas davon verstehen).

Beste Grüße und nichts für ungut

S.
Beitrag30.10.06, 21:32 Uhr
-Serenity-
Beiträge: 129/1799
dabei seit: Aug '02
Serenity
sexophone:
Beste Grüße und nichts für ungut

Denke ich auch. Vielleicht bin ich nur zu empfindlich, gerade, weil ich "von der Sache etwas verstehe."

Afteraidsparty:
In Afrika ist ja nix verdient, auch bei den Huren in Osteuropa kein Profit zu machen, sollen die doch weiter AIDS kriegen, ein bisschen Bedrohungs-Szenario ist schließlich ganz gut fürs Marketing.

Wie soll ich diese Aussage definieren? Sie ist nicht menschenverachtend? Sie ist nicht dekadent?
Habe ich im Ethikunterricht nicht aufgepasst?

Vielleicht bin ja nur ich auf diesem Auge
Beitrag30.10.06, 22:06 Uhr
sexophone
Beiträge: 1/3
dabei seit: Dez '02
sexophone
After AIDS Party
Natürlich war das zentrale Thema die so genannte neue sexuelle Revolution. Jan ist ja so ein alter Linker, der auch, nachdem er es doch zu einiger Kohle gebracht hatte, den alten Überzeugungen zumindest verbal nicht abgeschworen hat.

„Irgendwie finde ich es ja total beschissen“, meinte er, „dass es dem Kapital wieder mal gelingt, ein Grundbedürfnis der Menschen eiskalt für seinen Profit zu instrumentalisieren.“

„Na, jetzt übertreibst du mal“, entgegnete ich. „Natürlich wird mit der Erfüllung von Grundbedürfnissen schon immer Geschäft gemacht. Da sind sogar Deine Bio-Bauern nicht besser, die Erfüllung von primären Notwendigkeiten ist immer auch ein Geschäft für jemand anderen, Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, und eben Sex, ich kann da nichts Verwerfliches daran erkennen.“

„Da wird ja sogar der Begriff der Revolution pervertiert, damit die Pharma-Industrie ihren Profit maximieren kann, schreckt das Großkapital am Ende nicht einmal vor der Vokabel „Revolution“ zurück, die man im eigentlichen gesellschaftlichen Sinne ja fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.“

„Das ist ja genau das Gleiche wie in der Technik, wo der neueste was-weiß-ich Computer eine „Revolution“ darstellt, bloß dass die Leute ihren alten wegschmeißen und einen neuen kaufen.“

„Ja, genau. Hierzulande ist die Promiskuität ja gesellschaftlich geächtet worden, nach ein paar libertinären Anflügen in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Und jetzt wird die Revolution – vom Großkapital, wohlgemerkt! – ausgerufen, damit das Bürgertum zum willigen Konsumenten der AIDS-Impfung wird. In Afrika ist ja nix verdient, auch bei den Huren in Osteuropa kein Profit zu machen, sollen die doch weiter AIDS kriegen, ein bisschen Bedrohungs-Szenario ist schließlich ganz gut fürs Marketing. Der Gewinn muss hier eingefahren werden, in Europa, in den USA, wo die Leute locker mal fast 200 Euro oder Dollar für so ’ne Impfung losmachen können. Man muss sie nur dazu bringen. Und da man sich AIDS ja bedauerlicherweise nicht durch Anhusten holt, sondern nur durch Ficken, muss jetzt also wieder mal eine sexuelle Revolution ausgerufen werden. Und wir machen auch noch mit!“



Bitte lesen, den ganzen Absatz! Es handelt sich um die wörtliche Rede eines Altlinken, der hier über die zynischen Überlegungen der profitgierigen Pharmaindustrie wettert.
Mannomann!

S.
Beitrag22.2.08, 12:29 Uhr
kater074
Beiträge: 0/18
dabei seit: Feb '08
Ich finde nicht, dass Promiskuität gesellschaftlich geächtet wird. Im Gegenteil, Swingen wird in meinen Augen immer mehr akzeptiert. AIDS ist natürlich Thema, das aber durch die nahezu selbstverständliche Verwendung von Kondomen beim Sex mit "fremden" Partnern als erledigt gilt.

Ich denke, dass die sexuelle Revolution nicht tot ist. Sie hat bloß ihren politischen Inhalt verloren. "Freizeitsex" in verschiedenen Variationen ist heute auf rein hedonistische Motiven zurückzuführen, denke ich.

Dass es Gesellschaftsschichten gibt, die Swingen ablehnen, stimmt natürlich. Aber ich sehe es nicht als Ziel an, dass Promiskuität von jedem Menschen akzeptiert wird.
Beitrag22.2.08, 13:54 Uhr
-Serenity-
Beiträge: 129/1799
dabei seit: Aug '02
Serenity
Regeln (Auszug)
6.) Diskriminierende Äußerungen (Rassismus, Homophobie usw.) sind verboten.

Ich hätte die Story auch ablehnen können ...yes
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