Die Klinkenputzer 2
von Olivia
Langsam drängte sich die Sonne durch das Dunkel des Himmels. Der Morgen brach an. In der Gaststube der „Heißen Kanne“ war aber schon Leben. Die Wirtin hatte Kaffee gekocht, den Tisch für die sieben Personen gedeckt und die Dinge hervorgeholt, die auf den Tisch kommen sollten. Sie ließ sich auch nicht nehmen, zwei kleine Vasen mit Blumen auf den langen Tisch zu stellen. Die Gäste sollten es bei ihr wohlig haben, wie zu Hause. Die Uhr zeigte kurz vor sieben und sicher werden die Leute bald herunter kommen. Die waren gewohnt, früh mit ihrer Arbeit anzufangen. Sie hatte schon oft darüber nachgedacht. Leicht hatten sie es nicht, Abos zu verkaufen. Die Leute hatten nicht mehr so viel Geld und die Klinkenputzer (was für ein widerliches Wort!) wurden immer mehr.
Die Wirtin schaute noch einmal auf den Tisch und brachte dann die Platten mit Wurst, Käse und Marmelade auf den Tisch. Das Besteck lag ordentlich an den Tellern. Ja, nun konnten sie kommen.
Als erster kam Bodo, der Chef dieser Gruppe.
Er stand auf der Treppe, streckte seine Arme von sich und rief laut: „Guten Morgen, Frau Willmer. Sie waren ja schon so überaus fleißig, prima. Na, meine anderen Kollegen werden auch gleich kommen. Sie haben das ja wieder so schön gemacht. Einfach toll. Wie machen sie das nur?“
Die Wirtin wurde rot im Gesicht, beschämt hielt sie ein Tuch davor und räusperte sich.
„Das mach ich doch gern, Herr Bergmann. Es freut mich, dass es ihnen gefällt.“
So langsam kamen nun auch die anderen die Treppe herunter. Die meisten waren noch verschlafen. Na, an der Arbeit kann das doch wohl nicht liegen, dachte Bodo. Sie setzten sich auf die freien Plätze und warteten, bis alles vollständig war. Das dauerte nicht lange. Es war bei ihnen ein ungeschriebnes Gesetz, dass nicht zu essen angefangen wurde, bis alle am Tisch saßen. Das nämlich hatte zur Folge, dass sich alle beeilten. Denn niemand wollte als Quertreiber dastehen und den Hass der anderen bei sich spüren.
„Na meine Lieben, dann mal guten Appetit. Lasst es euch schmecken! Es ist wieder ein arbeitsreicher Tag vor euch.“
So sprach Bodo zu allen. Und von allen kam ein „Guten Appetit“, von einigen gemurmelt, von anderen laut.
Man konnte keine Regeln feststellen. Einige aßen morgens lieber Wurst, andere nahmen Marmelade und die wenigsten griffen zum Käse. Aber es schmeckte allen. Sie waren froh, solch ein gute Gaststätte bekommen zu haben. Denn es war nicht immer so. Manchmal wurde das Frühstück genau zugeteilt und es war nur wenig auf dem Teller. Man dachte ja daran, dass man mittags kaum zum Essen kam, meist gab es nur eine Kleinigkeit oder gar nichts. So ließen es sich alle schmecken und es blieb nicht sauf den Tellern zurück. Das freute wiederum die Wirtin.
Nach dem Frühstück kam Bodo wieder zu Wort.
„So, meine Lieben, nun kommt wie jeden Morgen die Einteilung. Ach ja, ich muss heute zur zentrale fahren, dort ist was zu besprechen, etwas, das uns alle betrifft. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich weiß nicht, ob ich heute Abend zurück sein werde. Doch ich werd’s versuchen.“
Sein Blick ging in die Runde und alle schauten ihn an. So kommt er sich wieder sehr wichtig vor, dachte Helga, nachts holt er sich die Frauen, um mit ihnen zu schlafen und morgens ist er der King. Sie schaute immer noch traurig in die Gegend und wusste nicht, wie sie mit ihrem Leben fertig werden sollte.
„Also, dann mach ich weiter. Molly und Karsten, wollt ihr heute wieder zusammen arbeiten? Ja? Na, dann nehmt die ‚Straße des 14. Juni’, die ist sehr lang und da habt ihr genug zu tun. Und macht ordentlich viel Abschlüsse.“
Bodo schaute in die Runde.
„Ja, und Ellen nimmt die ‚Bergstrasse’ und die ‚Schillerstraße’. Katja die ‚Paulstraße’ und die ‚Junkerstraße’. Na, dann bleiben nur noch Fritz und die liebe Helga übrig. Für Fritz habe ich die ‚Bärenstraße und die ‚Bremstraße’ ausgesucht. Und für dich, liebe Helga bleibt dann noch die ‚Ernststraße’, die ‚Felsenstraße’ und die ‚Grönlandstraße’ übrig. Na ja, ihr seht, das lässt sich alles machen. Die Stadtpläne habt ihr ja. Ihr könnt natürlich mehr machen, aber nicht in die Straßen von anderen hineingehen. Das ist verboten!“
Er bedauerte, dass es keinen Applaus für ihn gab, denn das hatte er doch wieder sehr schön gesagt. Er war gut, ja, er war der Beste. Seine Froschaugen gingen in die Runde und er grinste, sodass der geöffneter Mund seine braunen Zähne zeigten.
„So, dann bis heute Abend oder bis morgen früh, tschüß!“
Damit ging er nach oben, um seine Sachen zu holen und sich auf den Weg zu machen.
Die anderen saßen erst noch wie konsterniert am Tisch und wussten, dass sie anfangen sollten. Aber so gut kam das alles nicht herüber. Erst als Bodo wieder herunter kam, sprangen alle auf und packten ihre Sachen. Einer nach dem anderen ging durch die Tür und verließ die Gastwirtschaft.
Alle gingen zum Bully, in den sie einstiegen. Fritz fuhr den Wagen zu dem angegebenen Platz, wo dann die Leute ausstiegen und zu ihren Straßen gingen. Jeder hatte einen Stadtplan, in dem er nachschauen konnte, was sein Gebiet war. Es war verpönt, dass jemand in das Gebiet des anderen Abos machte. Das war ein ungeschriebenes Gesetz!
Nun wackelten die Sechsergruppe langsam zu den ihnen genannten Straßen. Als letzte ging Helga mit ihrer hellbraunen Tasche unter dem Arm. Würde es heute besser werden als gestern, fragte sie sich. Hoffentlich! Nur ein Gedanke schwirrte in ihrem Kopf: Ich brauche das Geld, möglichst viel, für meine Tochter.
Sie war so in Gedanken und so merkte sie erst spät, dass jemand neben ihr ging. Sie schaute auf und sah, dass es Fritz war.
„Hallo Helga, ich hab mir überlegt, ich meine, unsere Straßen sind nicht weit voneinander entfernt, ich denke, wir könnten doch heute zusammen arbeiten. Was meinst du dazu?“ fragte er sie.
Helga musste über dies Angebot lächeln. Sie dachte, dass doch eigentlich gar nicht viel dazu gehört, jemanden umzustimmen und ihn zum Lachen zu bringen.
„Ja? Meinst du? Na ja, wir können es mal versuchen. Vielleicht ist das ja eine gute Konstellation: Helga und Fritz!“ sagte sie.
So gingen sie eine Weile nebeneinander.
Dann meinte Fritz: „Es tut mir echt leid für dich wegen gestern Abend.“
„Wie? Was? Was weißt du denn davon?“ fragte sie.
„Na, das weiß doch jeder von uns. Bodo macht das häufig so. Auch Katja und Ellen hat er auf diese Weise rumgekriegt. Nur Molly nicht, die ist doch mit Karsten zusammen und da traut er sich nicht. Aber ich will nicht darüber reden, es ist ja auch nicht schön, dass er sich so verhält.“
„Ja Fritz, aber lassen wir das. Es bring nichts, das auseinander zu reden. Lasst uns zusehen, dass wir voran kommen.“
Sie fand Fritz ganz nett, er war freundlich und wusste wohl auch eine ganze Menge. Er war etwas jünger als sie und ein Stück größer. Seine dunklen Haare waren glatt zurückgekämmt, doch meisten suchten sie ihren eigenen Weg und brachten die schöne Frisur durcheinander. Auch trug er eine Brille mit dunklem Rand. Helga fand, dass sie nicht sehr gut zu ihm stand.
Auch wusste er viel Dinge, die nichts mit dem Beruf zu tun hatten. So erfuhr sie, dass er schon einmal verheiratet war. Gott sei Dank hatte er keine Kinder. Und weil er nichts anderes gefunden hatte, fing er an, Abos zu verkaufen. Manchmal lief es gut, manchmal brachte es aber nicht viel ein.
Und Helga erzählte ihm von ihrer Tochter, für die sie sorgte. Und von dem Mann, der ihr das Kind gemacht hatte und dann einfach abgehauen war. Fritz hörte genau zu, fragte ab und zu nach, wenn er Genaueres wissen wollte. Helga hatte Vertrauen zu ihm.
„Weißt du, Helga, wir machen erst einmal deine Straßen, Ja, wir machen es zusammen. Mal sehen, ob wir gut zusammen arbeiten. Vielleicht geht es ja auch schneller, weil wir die Leute gemeinsam in die Mangel nehmen. Wenn ich mir die Felsenstraße so ansehe, dann denke ich, dass wir einige Abos machen könnten. Also los!“
Helga war begeistert über den ungewohnten Elan von Fritz. Also gingen sie beide zu den Leuten, sprachen mit ihnen, ein Wort ergab das andere und im Nu waren einige Abos unterschrieben. Helga war die Freundliche und Fritz der Wissende, der alles mit Fakten untermauerte. So wurden die Leute überzeugt, dass es besser wäre, ihre alte Rundfunkzeitschrift zu kündigen und von ihnen eine neue zu bestellen. Und sie hatten ja nicht nur Zeitschriften für das Fernsehen, sondern auch welche zur Unterhaltung, für den Computerbedarf, zum Heimwerken und wer weiß, was noch alles.
Jedenfalls arbeiteten die beiden wunderbar zusammen. Mittags schauten beide den Bestellblock durch. Sie bekamen fast einen Schreck, es waren 23 Abos, die sie gemacht hatten. Das gab ja richtig Geld!
„Man, das ist ja prima“, rief Helga begeistert.
Und voller Begeisterung umfasste sie Fritz und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Finde ich auch“, antwortete Fritz, „wir werden uns mal ein bisschen zu essen holen und eine kleine Pause machen. Dort hinten ist ein Supermarkt.“
Beide gingen dorthin. Sie kauften etwas gegen ihren Hunger und Fritz nahm noch eine Flasche Rotwein mit. Für alle Fälle, wie er meinte.
Fritz schaue auf den Stadtplan und machte den Vorschlag: „Du Helga, wir gehen noch ein Stückchen, dann kommt ein Park, dort können wir uns hinsetzen. Vielleicht finden wir ein etwas schattiges Plätzchen. Man, ich freue mich, dass es heute so gut geklappt hat und wir so erfolgreich waren.“
Er fasste sie an die Hand und beide gingen über die Straße dem Park entgegen. Helga dachte, dass Fritz doch eigentlich süß sei, man müsste ihn nur richtig anziehen und ihn ein bisschen flott machen.
Es dauerte nicht lange, da kamen sie in den Park. Für die Stadt ein recht großer. Hohe Bäume und viele Sträucher waren darin. Und zwischendurch waren Grasflächen und es gab auch einige Teiche, auf denen Enten schwammen.
„Komm mit, dort zu dem Röhricht!“ sagte Fritz, „Da sind wir ungestört. Wir machen uns dort ein richtig gemütliches Plätzchen.“
Das taten sie auch. Helga ließ ihre häuslichen Fähigkeiten herauskommen und platzierte alles auf dem Boden. Sie hatten leider keine Decke, doch es musste auch so gehen. Dann setzten sie sich und begannen, ihr Mittagessen einzunehme
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