Lona IX - Gutes Blasen will gelernt sein
von EviAngel
Wir standen am Flughafen Ajaccio auf Korsika, Jule stand hinter mir, die Arme um mich geschlungen. Wir sahen dem Flugzeug zu, das auf der Startbahn in Position rollte, bis zum Stillstand abbremste. Ein tiefer Seufzer bahnte sich den Weg, großer Druck lastete mir auf der Brust, die Tränen rannen ungebremst die Wangen hinunter.
Die Ruder bewegten sich an dem Flieger, die Motoren wurden laut, das Flugzeug setzte sich in Bewegung, wurde schneller und schneller, hob ab. Das Fahrgestell fuhr ein, der Flieger stieg und stieg, drehte eine lange Kurve und verschwand im Himmel.
Bis er nicht mehr zu sehen und auch nicht mehr zu hören war, schaute ich ihm nach. Jule hielt mich fest und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel.
„Er kommt ja wieder, er bleibt ja nicht lang.“
Obwohl ich nicht weinen wollte, rannen mir weiterhin die Tränen aus den Augen und die Wangen hinunter, wie einem Schulmädchen mit Liebeskummer. Jule reichte mir ein Papiertaschentuch.
„Ea kimmd doch wieda, Schatzl! Ea kimmd doch wieda!“
Nein, weinen war eigentlich nicht nötig, da hatte Jule recht, aber trotzdem. Einmal noch seufzen, die Tränen abwischen und die Nase schnäuzen, damit musste es gut sein. Wir nahmen uns ein Taxi und fuhren zurück zum Hafen.
Am Boot angekommen, das wunderbare Wetter, das schöne Schiff im Blick, fand sich die gute Laune zum Teil wieder ein. Um etwas Witziges zu sagen, sagte ich etwas, was mir schon lange auf der Zunge lag und rieb es ihr unter die Nase:
„Habt ihr in Bayern eigentlich auch Deutschunterricht oder lernt ihr nur bayrisch?“
„Na, Frollein!“, imitierte Jule Seppis Sprechweise. „Wir bilden uns halt in der Vielseitigkeit, wir lernen Bayrisch und Deutsch gleichzeitig, ihr lernt ja bloß euren Dialekt.“
Teils ernst, aber immer noch Spaß, klärte ich sie auf:
„Wir Dialekt? Wir sprechen das reinste Hochdeutsch, wo denkst du hin? Reinstes Deutsch, direkt hinter Hannover!“
„Naja, immerhin, aber doch nur maximal zweiter Platz, nach Hannover. Wie Dortmund in den besten Tagen. Oder Leverkusen. Oder wie Schalke.“
„Wie?“
„Ach, nix.“
So alberten und flaxten wir herum. Mit Jule zusammen konnte mir nichts passieren und gemeinsam mit ihr könnten wir jeder Gefahr trotzen, obwohl wir miteinander immer extrem viel Spaß haben. Flaxen, einander aufziehen, immer lieb und freundschaftlich, nie verletzend. Wir wussten von uns beiden, dass wir uns blindlings aufeinander verlassen konnten und dass wir keinerlei Gemütsregung oder Geheimnis vor der anderen verbergen mussten. Es bestand eine unglaublich enge und sehr, sehr schöne Verbindung zwischen Jule und mir.
Trotzdem war ich traurig, echt. Seppi fehlte mir von der ersten Sekunde an. Die Wochen mit ihm, hier an der Westküste Korsikas, waren unglaublich bereichernd. Das reine Glück die ganze Zeit. Die Liebe zwischen uns war allgegenwärtig, die Wochen mit ihm und Jule zusammen waren derartig kurzweilig, dass sie so schnell verflogen waren, als seien es Tage gewesen.
Mit Seppi fehlte ein wichtiger Teil unseres Trios, es gab ein Ungleichgewicht, der größte Teil unserer Energie war verschwunden. Ohne Antrieb saß ich da auf dem Boot und stierte in die Landschaft. Selbst am nächsten Tag war die Stimmung nicht wesentlich besser. Wir, Jule und ich, saßen am Nachmittag auf dem Vordeck, blickten in die weite Welt hinaus, nippten am ersten Prosecco des Abends und wussten nicht recht etwas mit uns anzufangen. Jule fühlte sich in der Trauer mit mir verbunden, so fehlte uns beiden die Energie, etwas an der Antriebslosigkeit zu verändern. Das würde schon bald anders sein, aber im Moment fehlte uns der drive.
„Ahoi, Lona!“, rief ein Mann vom Kai aus.
Es standen dort drei unbekannte Typen, der kleinere, dunkelhaarige, zeigte auf mich und sagte auf deutsch zu den anderen:
„Da, det muss se sein. Comtesse!“, fügte er spöttisch hinzu.
„Auf jeden Fall sind wir hier richtig!“, schloss er, nahm einen kurzen Anlauf und sprang vom Kai auf unsere Badeplattform hinunter.
„He!“, beschwerte ich mich und rannte nach achtern. Die beiden anderen, ein mittelblonder, Kleiner und ein hellblonder, Großer, schickten sich an, es dem Dunkelhaarigen gleich zu tun.
„Was soll das denn?“, protestierte ich aggressiv und ungeduldig. „Verschwinden Sie, gehen Sie weg!“
„Jou, det isse, große Klappe und Ruhrgebietsslang. Schätzchen, wir haben eene Überraschung für dir!“
Der Dialekt kam aus dem Raum Berlin, unverkennbar.
„Was-was, wie, äh, gehen Sie von meinem Schiff runter!“
In der Zwischenzeit waren, trotz meiner Gegenwehr, die anderen beiden ebenfalls auf die Badeplattform gesprungen. Ich stand auf dem Achterdeck und schaute auf die drei hinunter. Der Große war wirklich sehr groß.
„Nicht! Bleiben Sie weg!“, rief ich protestierend, als sie sich anschickten, die Treppen hinauf zu steigen. Vielleicht hörte man mich auf den Nachbarbooten und half mir gegen die Einbrecher, denn das schienen sie zu sein. Sie ginmgen zielstrebig und besitzergreifend vor, es war unheimlich.
Jule stand hinter mir, wir auf uns allein gestellt, sahen keine Möglichkeit, die Männer aufzuhalten.
„Schätzchen, reg dir nich uff, wir sind Freunde von Jonas“, meinte der Dunkelhaarige beschwichtigend. „Wir holen uns nur, wat uns zusteht, denn sind wir wieda vaschwunden!“
„Gehen Sie weg! Jule, ruf die Polizei!“
Das sagte ich ihr vor lauter Aufregung auf französich.
„Keine Police, Schätzchen, keine Police, du machst dir unjlücklich!“
Jule tupfte hektisch auf dem Handy herum, der Dunkelhaarige stand mittlerweile genau vor mir, Jule versetzt hinter mir. Ansatzlos schlug er Jule volles Rohr mit der Faust ins Gesicht, mit voller Kraft, ungebremst, haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Die liebe Freundin taumelte rückwärts, verlor das Handy aus der Hand, konnte sich gerade noch am Tisch festhalten, um nicht zu stürzen.
„Was soll denn der Scheiß?“, entsetzt und empört wie ich war, rastete ich richtig aus. Schlägereien gab es damals als Halbwüchsige in der Schule, um sich gegen die Dumpfbacken zu behaupten, aber doch nicht in der Erwachsenenwelt. In meiner jedenfalls nicht.
„Was wollen Sie überhaupt? Gehen Sie weg, verschwinden Sie!“
Die drei Männer waren die Ruhe selbst. Sie übten Gewalt aus, ohne dass Erregung zu erkennen war, einfach so. Der Schlag gegen Jule war mit soviel Gleichgültigkeit und emotionslos ausgeübt worden, dass es einen schaudern konnte. Das wirkte auf mich ganz besonders bedrohlich. Jule rappelte sich auf, sie schaute verstört zu mir. Ich half ihr auf und stützte sie.
„Weeste, Schätzchen“, allein die Anrede regte mich schon auf. Die Stimme war unangenehm, der Ton anmaßend und respektlos. In mir rasten die Gedanken ungesteuert und ohne Ziel durchs Hirn. Gegen die Gewalt konnte ich mich nicht durchsetzen, ich wusste nicht was gespielt wurde, meine liebe Freundin war verletzt worden, ein Ausweg zeichnete sich nicht ab. Nachzugeben, zu fliehen oder mich zu verkriechen war keine Option, hier war mein Zuhause, das würde ich verteidigen. Immer noch empört und voller Adrenalin, das Herz klopfte heftig, reagierte ich gereizt und aggressiv, empfand mich jedoch als macht- und hilflos. Irgendwie musste ich mich behaupten, so fuhr ich den Typen an:
„Comtesse Lona ist die richtige Anrede, mein Herr, Comtesse Lona und ‚Sie‘, bitteschön.“
Der Dunkelhaarige amüsierte sich, er sprach zu seinen Kumpanen:
„Kiek ma wattse kiebig is, die Kleene. Kaum ne Handvoll Mensch, aber ne Fresse wie ne Jroße.“
Grinsend wandte er sich wieder mir zu.
„Also gut, Comtesschen, sollst deinen Willen haben. Ick will aber ooch meinen Willen haben. Wo ist det Geld?“
Mir schwante Fürchterliches. Die ganze Zeit über schlummerte die Befürchtung auf meiner Seele, dass Jonas eines Tages kommen und das Geld für die Wohnung von mir fordern würde. Nun war es wohl so weit. Kampflos würde ich es mir auf keinen Fall abnehmen lassen, vor allem nicht unter Gewaltandrohung und nicht von diesen drei Pappnasen hier.
„Sicher, logisch, das Geld!“, meinte ich sarkastisch. „Von welchem Geld reden Sie?“
„Na, von welches Geld haste denn dieset Schiffchen hier bauen lassen, wa? Ist doch nagelneu det Dingen, det sieht man doch.“
„Die Grafen von Buchenhain sind ein uraltes Adelsgeschlecht aus Westfalen. Das Schiff hier ist mein Geburtstagsgeschenk.“
Ausreden zu finden ist mir noch nie schwer gefallen. Jetzt war ich im Rosamunde-Pilcher-Comtesse-Modus, so kam der Spruch sehr bedeutungsvoll und überzeugend herüber.
„Jonas meint, den Titel hätte er erfunden?“, wandte er ein, meine Selbstsicherheit machte ihn unsicher. Ich blieb in dem souveränen Ton und sagte:
„Das ist völliger Blödsinn, das weiß er genau. Der hat Ihnen einen schönen Bären aufgebunden. Von welchem Geld reden Sie also?“
Er wurde aggressiver und selbstsicherer:
„Ach, Schätzelein, äh, Comtesschen, det ist doch janz einfach. Der Jonas, den kennste doch oda? Der ist dir bekannt, oder willste ooch det abstreiten?“
Es war besser, etwas zuzugeben, um das vorher Gesagte glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Maigret hätte das nicht besser hinbekommen, mein Hirn ratterte auf Hochtouren.
„Ich streite überhaupt nichts ab. Nein, natürlich nicht. Wir waren einige Zeit zusammen, das stimmt. Wir hatten eine gute Zeit, aber die war dann auch mal zu Ende. Also, wovon sprechen Sie?“
Der Dunkelhaarige schaute mich nachdenklich an.
„Weeßte“, meinte er nach einiger Zeit. „Ick jloobe dir keen Wort. Jonas sagt, er hat dir det Geld jejeben und der war nicht mehr in der Lage zu lüjen, det kannste jlooben. Ick will jetzt nich det Gleiche mit dir machen, wat wir mit dem jemacht haben, det fände ick persönlich unästhetisch. Trotzdem, ick will mein Jeld und jloob mir, det bekomme ick.“
Er entspannte sich etwas.
„Gibts bei dir nen Kaffee, Schätzchen?“
Jule hörte mit, von der Gewalt und der ausweglosen Situation war sie geschockt. Auf Französisch bat ich sie:
„Mach ihnen mal Kaffee. Ich sorge dafür, dass dir keiner mehr etwas tut.“
Sie nickte ihr Einverständnis und machte sich auf den Weg, um Kaffee zu bereiten.
Der Dunkelhaarige wies auf den Tisch.
„Lass uns mal sitzen, wie et unter zivilisierte Menschen üblich is. Kommt Jungs, setzt euch.“
Vielleicht war Jule so schlau und rief von meinem Handy die Polizei an. Die Hoffnung blieb so lange, bis der kleinere Blonde hinter ihr her ging. Ich schaute ihm nach, sie durften Jule nichts mehr antun. Ganz kurze Zeit später war er wieder da. Er brachte mein Portemonnaie und Jules und mein Handy mit. Das Portemonnaie war ein dickes, altes, vergammeltes Ding, von dem ich mich nicht trennen konnte, weil es so praktisch war. Alle meine Karten, Scheckkarten, Personalausweis, Führerschein, Bootsschein, Kreditkarten, alles war darin, auch etwas Bargeld.
„Na, da haben wir ja allet!“, meinte der Dunkelhaarige ganz entspannt.
„Weeßte, Schätzchen“, erklärte er, während er alle Karten aus dem Portemonnaie nahm und vor sich ausbreitete. „Der Jonas, det ist een janz linken Vogel is det. Wir drei“, er deutete auf seine Begleiter, „wir sind Georgier, wie der Jonas ooch. Ick bin schon mehr als die Hälfte von mein Leben in Balin, bin ooch da uffjewachsen, hört man velleicht son bisschen. Jedenfalls, der Jonas, der war bei uns een echtet Finanzgenie, in Georgien, auf die dunkle Seite der Macht, wenn du vastehst. Wir, det Land, haben eenen dicken Kredit von die EU jekriegt, det war janz prima. Der Jonas hat einen Weg jefunden, wie er einen großen Teil davon für uns abzweijen konnte. Wir wollten teilen, er die Hälfte vom Kuchen und wir die andere Hälfte. Nur, denn hat er sich den janzen Batzen unterm Narel jerissen, vastehste? Der hat uns abjezogen, uns, seine Kumpels und Mitstreita, vastehste? Det is unsa Jeld, det wollen wir wieder ham, is klar, oda?
Det sich der Jonas die janze Kohle unterm Narel reißt und wir jehen leer aus, det jeht nich, det vastehste doch, oda?“
„Ihre Rechtsauffassung in allen Ehren“, ich war jetzt voll in der Rolle der Comtesse, die Lektüre von Rosamunde Pilcher half mir dabei, ganz automatisch den richtigen Ton zu treffen. „Was, bitteschön, habe ich damit zu tun?“
„Er hat dir die janze Kohle anvatraut und du wärs damit abjehaun, det sacht er jedenfalls. Jetzt sind wir hier und nehmen sie dir wieder ab. Janz einfach.“
„Na, da muss ich Sie enttäuschen, bei mir finden Sie kein gestohlenes Geld, keine Chance. Da müssen Sie woanders suchen.“
Er pflückte die Bankkarte heraus und sagte ungerührt:
„Jetzt lass uns doch mal een Blick uff dein Konto werfen, da müsste det Moos ja zu finden sein. Oda du hast et im Kopfkissen einjenäht.“
Er schaute kritisch.
„Haste? Einjenäht?“
„Ich habe kein gestohlenes Geld und kein Geld vom Jonas, bestimmt nicht. Ich habe das Geld, das mir meine Familie sendet, damit komme ich aus und damit ist auch alles erklärt. Jetzt gehen Sie bitte.“
„Schätzchen, ick vastehe dir, kannste jlooben, aba vasteh auch uns. Wir haben den Coup mit Jonas zusammen jeplant und durchjezoren, vastehste? Un wir wollen unseren Anteil. Zur Strafe, weil er uns beschissen hat, deswejen nehmen wir ihm auch die andere Hälfte noch ab. Als Lektion, vastehste? Kumpels beklaut man nich und haut se auch nich übert Ohr, det bringen wir ihm jetzt bei.“
„Online-Banking, oder?“, fragte er mich und hielt mir die Bankkarte unter die Nase. Er reichte mir das Handy und sagte:
„Nu ruf mal deine Konten ab.“
Nun war ich Odessa sehr, sehr dankbar. Sie hat mir damals den Rat gegeben, die Geldanlage zu einer anderen Bank zu bringen, als zu der Bank, bei der man das Girokonto hat. Die Bank, die sie mir empfohlen hatte, war eine reine Investmentbank, unter einer Million brauchte man der gar nicht zu kommen. Die Karte für mein Girokonto lautete auf die französische Sparkasse, Caisse d'Epargne, die hielt er in der Hand. Die Karte für die Investmentbank trage ich nicht ständig mit mir herum, die lag im Tresor unter der Treppe zur Flybridge.
Leichten Herzens öffnete ich die Seite der Bank auf meinem Handy und zeigte ihm die Umsätze.
„Hundertdreißig Tausend Guthaben! Ja Himmelarschundzwirn, wat is det denn?“
Das waren die Reste des Betrages, den die Investmentbank an Dividende vierteljährlich auf mein Konto schickte. Hochnäsig klärte ich den Dunkelhaarigen auf:
„Das ist mein Taschengeld, davon muss ich ein ganzes Jahr leben.“
„Hundertdreißigtausend Euro Taschenjeld? Mein lieber Specht! Det is nich schlecht.“
Er richtete seinen Blick gen Himmel und mimte Verzweiflung:
„Nur een einzijet Mal Kind von reiche Eltern sein, nur een einzijet Mal. Bah, Herrjott!“
Entschlossen raffte ich die ausgebreiteten Karten zusammen und wollte sie wieder ins Portemonnaie stecken.
„Dann ist ja alles geklärt, dann können Sie jetzt gehen.“
Der Dunkelhaarige grinste.
„Ick vastehe dir, Schwesta, ick vastehe dir sehr jut. Aba, bei zwee widersprüchliche Aussaren muss ick die Sache uffen Jrund jehen, vastehste? Det vastehste doch, oda?“
„Jetzt zeig ma, auf die Kreditkarten haste doch ooch Jeld, oda?“
Auf keiner der Karten lag Geld. Mir erschien es unsinnig, auf Kreditkarten Guthaben anzuhäufen.
„Jibts doch nich, nirgends Jeld druff!“, meinte er ratlos.
„Sag ich doch!“, bekräftigte ich. Der Bluff schien geglückt, jetzt noch die Piraten los werden, wir würden sofort ablegen, nur weg!
Er sah sich um, Jule kam mit dem Kaffee und stellte ihn auf den Tisch. Sie wollte sich gleich wieder verkrümeln, der Dunkelhaarige hielt sie auf.
„Leiste uns noch een bisken Jesellschaft, scheene Frau. Tut mir leid wejens det blaue Ooge, det jeht aba schnell wieda wech.“
„Also, du kannst mit det Schiff fahren, is det richtig?“, fragte er mich direkt.
„Ja, sicher, es ist mein Schiff, natürlich kann ich damit fahren.“
„Wat die kiebig is, die Kleene, wa?“, fragte er seine Spießgesellen.
„Also jut, denn bringste uns mit den Äppelkahn ma nach den Jonas hin, Cap der Eule oder so. Du weeßt ja, wo.“
„Wie? Ich soll …? Mit meinem Schiff?“
„Det wäre mein persönlicher Wunsch, ja. Tu mir den Jefallen. Schon im Interesse von det andere Ooge von deine Freundin.“
„Wie bitte?“
Er gab keine Antwort, sondern schaute mich nur an.
„Bitte“, sagte er nach einiger Zeit. Er drohte damit, uns Gewalt anzutun, falls ich seiner Bitte nicht entspräche, das kam deutlich herüber.
„Also, das ist doch …“ wandte ich halbherzig ein. Was sollte ich, was könnten wir zwei Frauen gegen die drei Männer ausrichten? Die Drei erschienen mir zu allem entschlossen. Dass sie bereit waren, ihre Wünsche mit Gewalt durchzusetzen, hatten sie bewiesen. Das ergab für uns eine mehr als bescheidene Situation.
„Heute noch? Unmöglich! Wir brauchen neun Stunden bis dahin, jetzt ist es bereits nach sechs. Kommen Sie morgen wieder, dann fahre ich Sie.“
„Nee, is klar, Schätzchen, is klar. Haste Angst im Dunkeln oder was willst du mir weismachen? Jetzt laber nicht länger rum, mach die Leinen los und lass uns abdampfen. Schließlich hast du Radar und dieset GPS-Dingen. Jetzt ab und keene künstliche Vazöjerunk!“
Jule und ich tauschten Blicke. Es war geboten, der drohenden Gewalt nachzugeben. Jule fuhr die Gangway heraus, ging hinaus auf den Kai und löste die Leinen, ich startete die Maschinen.
Mir fiel ein, wie ich Verstärkung herbei rufen konnte. Im Cockpit lag das Tablet, es war an eine USB-Buchse angeschlossen, um den Akku zu laden. Ich schaltete es ein, der kleinere Blonde stand daneben, der mit dem unangenehm stechenden Blick. Er deutete darauf.
„Was machen?“
„Navigation, brauche ich dafür.“
Er nickte und gab sich damit zufrieden. Der Dunkelhaarige passte auf Jule auf, die auf dem Kai die Leinen löste. Wahrscheinlich hielt er sie im Blick, damit sie ihm nicht davon lief. Jule würde mich nie allein in der Gewalt der Männer lassen, kein Gedanke, seine Sorge war unbegründet.
Ich tippte Seppis Nummer in das Tablet.
„Also!“, sprach ich laut, damit Seppi hören konnte. Ob er dran war, konnte ich nicht sehen, das Tablet lag umgedreht, damit der Typ neben mir nicht sah, dass ich mit Seppi in Verbindung stand, außerdem konnte so die bessere hintere Kamera mich und den Typen filmen. Der Dunkelhaarige kam herbei, um zu kontrollieren, was ich da machte.
„Wir haben eine Reichweite von fünfhundert Seemeilen“, erklärte ich, so deutlich, dass auch Seppi es verstand. Wenn er denn den Anruf mitbekam. „Davon haben wir bereits zweihundert verbraucht. Unser Tank fasst eine Tonne Diesel, sind eintausendzweihundertundfünfzig Liter. Ich sage das nur, damit hier keine Missverständnisse aufkommen.
Wir sollen euch jetzt nach Cap d’Ail bringen?“
„Watt is? Mehr macht der Kahn nich? Fünfhundert Kilometer? Det is allet? Watt versuchs du mir zu erzählen, Meechen?“
„Nein, Seemeilen, fünfhundert Seemeilen sind etwa achthundert Kilometer.“
„Mehr macht det Dingen nich? Damit kannste aber keene Atlantiküberquerung machen. Ick dachte, det Dink würde weita fahrn können.“
„Mit so einer Jacht fährt man zu einem Hafen im Mittelmeer, verbringt dort ein paar Tage und fährt wieder nach Hause“, flunkerte ich. „Das ist ein Freizeitboot, kein Fernreise-Dampfer.“
Die Tanks fassten zwölf Tonnen, sie waren unterteilt in Tanks zu je einer Tonne, aus Sicherheitsgründen. Aus dem gleichen Grund war es möglich, Tanks zu verschließen. Von Tank Eins nahm ich die Tankanzeige auf den Monitor, er war tatsächlich noch zu etwas weniger als zu zwei Dritteln gefüllt. Die anderen Tanks verschloss ich, es ging nur einzeln, einen nach dem anderen, von denen wusste er nichts, von der Elektroreserve ebenfalls nicht. Zu bluffen und die Fähigkeiten des Bootes nicht zu offenbaren, erschien mir das Risiko wert zu sein. Dass er sich mit diesem Prototypen auskannte, war höchst unwahrscheinlich.
„Watt ihr Reichen allet so macht für euern Vajnüjen, det jeht auf keene Kuhhaut. Watt fummelste denn da rum?“
Konzentriert schaltete ich die Tanks ab, jeden einzeln. Es kam immer die Nachfrage: ‚abschalten?‘ Ich musste bestätigen: ‚OK, wirklich abschalten, ja!‘
Elektronik eben, das dauert und dauert.
„Macht man so, sind alles Routinehandgriffe, hat mit der Sicherheit zu tun.“
„Na, jut, nu jib ma Stoff!“
Langsam beschleunigte ich auf zwölfeinhalb Knoten.
„Jeht det nich schnella?“
„Nur unwesentlich, dann verringert sich allerdings die Reichweite deutlich. Bis Cap d’Ail sind es knapp hundertvierzig Seemeilen. Wenn ich schneller fahre, kommen wir nicht bis ganz dahin. Wollen Sie aussteigen und schieben, wenn wir ohne Treibstoff liegen bleiben?“
Er guckte, als wenn er mich fressen wollte.
„Pass uff, du Göre, werd nicht übermütig!“
Lasse ich mich einschüchtern? Cool, ganz die Comtesse, erwiderte ich:
„Ich nenne die Fakten. Ich bin die Kapitänin und trage letzten Endes die Verantwortung, egal was passiert. Gibts einen Schiffbruch, weil wir aus Spritmangel liegen bleiben, dann hafte ich, ich allein. Deswegen achte ich auf alles was passieren kann, ist klar oder?“
Er guckte wieder so giftig, gab aber Ruhe. Der Autopilot war längst eingeschaltet, trotzdem tat ich so, als würde ich hoch konzentriert das Steuer bedienen und alles im Blick behalten.
Der Typ entspannte sich etwas.
„Wo soll ich Sie absetzen? Beim Cap d’Ail gibt es eine Marina, in die könnten …“
„Nix, Marina, du hast doch Anker oder? Du wirst uns vor der Küste absetzen und wir fahren mit deinem Beiboot an die Küste. Du hast doch ein Beiboot oder?“
Zögernd gab ich das zu, es wäre blöd gewesen es zu verneinen. Widerstand war da zwecklos und würde nur zu Stress führen. So erzählte ich ihm von der Tendergarage und dem Tender. Wenn er mit dem Beiboot wegfuhr, dann würde ich mit Volldampf das Weite suchen, das war klar. Lieber das Dinghy opfern, als weiterhin in der Gewalt der Männer zu sein. Obwohl der Tender ein sehr schönes Boot war, maßgeschneidert für mein Schiff, mit eigenem Innenbordmotor, der über genügend Leistung verfügte, um damit zwei Wasserski-Läufer zu ziehen.
Der Dunkelhaarige machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem und schaute mir auf die Finger.
„Haste keene automatische Steueranlage?“, fragte er nach etwa zwei Stunden, in denen ich untätig herum stand und mich am Steuer festhielt. Auf die oder eine ähnliche Frage war ich vorbereitet.
„Ja, natürlich. Die ist allerdings nicht so zuverlässig, wie man sich das vorstellt. Bevor wir gegen etwas Festes donnern, passe ich lieber auf, vor allem nachts. Das Radar und das Echolot muss immer ein Mensch im Blick behalten, das geht nicht automatisch. Meine Familie bringt mich um, wenn ich das Schiff beschädige. Ihr seid bitte auch vorsichtig mit dem Inventar und so.“
„Du hast ne große Fresse, Kleene, aba det jefällt mir. Wieso spricht deine Kollejin eigentlich nich?“
Jule stand in der Küche und lauschte angestrengt.
„Die kann kein Deutsch“, behauptete ich. „Nur Französisch und Italienisch. Und wie sieht es mit Ihren Begleitern aus?“
„Die hatten beede Deutsch in der Schule, een bisken kriejen se mit. Mir vastehen Se aber so jut wie nich, weeß nich warum nich. Aba ick, ick meene wir, wir sprechen ja ooch Georgianisch, damit jeht et denn, die Vaständijunk.“
Nach weiteren zwei Stunden meinte er:
„Deine Familie ist wohl sehr wohlhabend, oder? Wenn se dir so ein Schiffchen zum Jeburtstag schenken kann? Watt kostet son Bötchen? Etliche Millionen oda? Na? Wieviel kostet sowatt?“
„Ja, mit einer Million kommt man da nicht weit.“
Worauf zielte der ab? Mir schwante etwas, aber ich wusste nicht, was, nur dass es für mich nachteilig war, das war klar.
„Sone reiche Familie, die würde doch garantiert auch ne Menge Kohle ausjeben, damit ihr Zuckerpüppchen wieder heil nach Hause kommt, oda?“
Das war es. Ohje! Er plante eine Entführung und Erpressung! Eine erfundene Familie würde keinen Cent ausspucken, natürlich nicht. Wie kam ich da wieder heraus?
„Die sind nicht gut auf mich zu sprechen“, fiel mir nach einigem Nachdenken eine Ausrede ein. Sie war mehr als dünn, dieses Ausrede, aber besser als keine.
„Mit dem Schiff und dem Taschengeld haben sie mich ruhig gestellt. Denen gefällt mein Lebenswandel nicht. Ob die auf eine Entführung reagieren würden, wage ich zu bezweifeln. Wahrscheinlich würden sie denen einen Gefallen tun, wenn sie mich nicht wiedersehen müssten.“
Er guckte mich an und meinte dann nach einiger Zeit:
„Na, ausprobieren kann man det ja. Wenn du mir allerdings det Jeld vom Jonas jibst, denn können wir darauf vazichten. Vastehste det?“
Was für eine vertrackte Situation. Ich verfluchte den Jonas, den Blödmann.
Morgens um drei Uhr waren wir am Ziel.
„Richtig ankern, sonst treibste noch vor die Felsen“, befahl der Dunkelhaarige. Weder er noch ich haben geschlafen oder geruht während der Fahrt. Er beobachtete alles mindestens so aufmerksam wie ich.
„Kleene, im Hafen hattest du zwee Leinen hinten und zwee Anka vorne, wieso jetzt nur zwee Anker vorne?“
Der Grund dafür war klar, ich wollte mich aus dem Staub machen, sobald die Burschen weit genug weg waren. Das Schiff war schneller als das Beiboot, mit dem bekamen sie uns nicht mehr eingeholt. Die Anker hinten einzuholen dauerte allein sicher vier bis fünf Minuten. Um die Zeit zu sparen, wollte ich sie gar nicht erst einsetzen. Er bestand jedoch darauf. Nun gut, dann musste ich länger warten, bis sie weit genug weg waren, um mich dann aus dem Staub zu machen.
„Im Hafen, das war zur Sicherheit, da sind die anderen Schiffe und die Kai-Mauer sehr nahe, da darf sich das Boot nicht bewegen. Hier spielt es keine Rolle, wenn es sich um die Anker herum bewegt“, versuchte ich es trotzdem mit einer Ausrede.
„Mach ma richtig, Kleene, mach mal janz uff Sicherheit. Eventuell brauchen wir deinen Kahn noch.“
Keine Chance für ihn, würde ich sagen. Sobald er unterwegs war, war ich auch unterwegs, logisch, nur in entgegengesetzter Richtung.
Er blieb als Beobachter dabei, als ich mit Jules Hilfe die achteren Anker zu Wasser ließ. Er ließ sich noch zeigen, wie man die Tendergarage öffnete, dann kam das, was ich nicht erwartet hatte:
„Nu, denn jeht ihr beiden Hübschen mal runter in die kleene Kabine, die ist für die Crew jedacht, stimmts? Is nicht janz so komfortabel, aber dafür könnt ihr uns nich wegloofen. Een kleenet Fenster, ne Tür, die man von außen abschließen kann, ideal. Für euch jibt et sojar eenen Fernseher. Ja, so bin ick, ick jönne jedem det seine.“
Da war ich sprachlos und starrte ihn nur an.
„Nich lange kieken, Herzchen, runter mit dir und mit deine Liebste. Ihr seid doch een Liebespaar oda? Sieht man gleich. Nu aber hopp, wird euch schon nicht langweilig werden.“
Sie sperrten uns tatsächlich in die Crewkabine ein, Jule und mich. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Wir hörten, wie sie die Tendergarage öffneten und mit dem Boot davon fuhren. Was ich nicht glauben konnte, passierte trotzdem, sie ließen die Garage offen! Wenn jetzt etwas Wind aufkam und damit mehr Wellengang, dann bestand die Gefahr, dass die Tendergarage volllief und nach und nach auch das Schiff. Erst Schlagseite, dann Untergang, wir saßen eingesperrt in der Kabine und konnten nichts tun! Es gab eine Fernbedienung für die Tendergarage, die war im Beiboot fest installiert. Sie brauchten nur auf den Knopf zu drücken! Jule versuchte, mich zu trösten:
„Des bassiert nicht, keine Bange. Warum sollt ausgrechnet 'etz a Sturm aufkomma?“
Ich musste mich unbedingt von der offen stehenden Garagentür ablenken, so entwarf ich mit Jule einen Schlachtplan. Wir gingen davon aus, dass Seppi auf jeden Fall alarmiert war. Er würde wahrscheinlich die Polizei auf unsere Notsituation aufmerksam machen, was die tun könnte, war mir allerdings schleierhaft. Nur, wenn wir nichts taten und in der Gewalt der Piraten blieben, dann sah es echt düster aus mit unseren Zukunftsaussichten.
„Wir bleiben aber dabei, du kannst kein Deutsch, wir sprechen nur italienisch und französisch, OK?“
Jule nickte nur, so langsam bekam sie meine Panik mit. Wir waren uns beide über die Gefährlichkeit der Situation einig.
„Wir können versuchen, sie mit der Motorkraft über Bord gehen zu lassen. Mal sehen, was sich so ergibt.“
Es war klar, wenn man sich nicht festhielt, bei voller Beschleunigung, ich mein, wenn die Piraten unbedacht waren und ich zum richtigen Zeitpunkt voll beschleunigte, dann wäre es fast unmöglich für sie, das Gleichgewicht zu behalten. Mal sehen, was sich ergeben wird. Am besten wäre es, wenn alle drei gemeinsam auf der Badeplattform standen und ich am Steuer, dann wäre es möglich, sie alle gleichzeitig los zu werden. Bisher wussten sie von der Kraft der Maschinen nichts. Wichtig war nur, dass wir hier aus diesem Gefängnis heraus kamen.
Es verging sicher mehr als eine Stunde, bis wir das Beiboot wieder hörten. Es rumpelte heftig, als sie das Boot in die Halterung fuhren. Sie behandelten es nicht so pfleglich, wie ich es mir gewünscht hatte. Als sich die Kabinentür endlich öffnete, war ich aufgebracht. Der Dunkelhaarige begrüßte uns grinsend, ich fuhr ihn gleich an:
„Hatte ich Sie nicht gebeten, mit dem Schiff pfleglich umzugehen? Die Garage muss man schließen, wenn man wegfährt und das Beiboot langsam und vorsichtig in die Halterung fahren. Ist das zu viel verlangt?“
Er staunte mich erst an, grinste dann und wandte sich an seine Kumpane:
„Ist se nicht niedlich, die Kleene, wenn se sich so uffregt?“
„Komm, Schwesta“, wandte er sich dann entschlossen an mich. „Mach dein Boot klar, wir müssen weita, wa. Kommt ma raus da!“
Er drängte uns hinaus, den Grund dafür sah ich gleich. Jonas stand draußen, die Hände auf dem Rücken gefesselt und einen blutbeschmierten Einkaufsbeutel aus Jute über dem Kopf.
Der gefesselte Mann wurde in die Kabine hinein gestoßen und die Tür von außen verschlossen. Den Schlüssel steckte der Dunkelhaarige ein.
„Sicha is sicha“, begründete er das.
„So, Schwesta, nu zu uns, wa“, hob er an, als wir im Cockpit ankamen. Das Tablet lag noch so da, wie ich es hingelegt hatte.
„Wat is det denn?“, fragte er und zeigte darauf.
„Das ist ein Navigationsgerät, es ist wichtig“, behauptete ich.
Er nahm das Tablet auf und drehte es um, der Sperrbildschirm von Windows zehn erschien.
„Aha“, sagte er sarkastisch. „Navigation, wa? Wohin navigierste denn damit? Hä?“
„Darauf bekomme ich den Wetterbericht und die wichtigsten Nachrichten aus der Zielregion, das ist wichtig! Außerdem verschaffe ich mir damit Überblick über die Strecke und ich brauche es als Rechner.“
„Weeste, Kleene, ick mag dir, wirklich, wa? Ick mag dir ooch und jerade, wennde frech bist und kiebig, wa? Aba, übertreibs nich, verarsch mich nicht, hörste? Ick merke det!
Sieh mal der Djoko da“, er deutete auf den kleinen Blonden. Der saß auf einem der Hocker der Frühstücksbar und starrte mich auf die Art an, wie er immer starrte, ohne zu blinzeln, mit ausdruckslosem Gesicht, starr und stur.
„Der Djoko, der ist scharf auf deinen kleenen Arsch und auf den von deine Freundin ooch, vastehste? Wenn ick den vonne Leine lasse, wa, und ihn det mit eine von euch machen lasse, wat er mit Frauen eben so macht, wa, denn jeht et euch schlecht. Ick habe noch keene Frau alebt, die hinterher so aussah wie vorher, wenn se der Djoko in die Finger bekommen hat. Ick hab ooch noch keene Frau jetroffen, der det jefallen hat, wat Djoko mit ihr jemacht hat. Also, Schätzchen. Wenn de willst, det et deine Freundin und dir jut jeht, denn biste vorsichtig, vastehste, denn vasuchste nich, mir zu hinterjehen, wa? Haste det vastanden?“
Puh, der Djoko erschien mir nach der Predigt noch unheimlicher, als er mir vorher schon war. War jetzt der Zeitpunkt gekommen, um klein bei zu geben? Demütig das zu tun, was verlangt wurde? Dazu war ich noch zu aufgebracht, weil sie schlecht mit dem Schiff umgingen, außerdem machte ich mir Sorgen um Jonas. Er war mir zwar nicht mehr sympathisch, aber so, wie sie ihn behandelten, so ging man nicht mit Menschen um, das gehörte sich nicht. Vor allem nicht auf meinem Schiff.
Jule wartete auf mein Zeichen, um die Anker einzuholen. Wir holten erst die achteren, dann die Buganker ein. In der Zwischenzeit hatte ich mir eine Bestätigung für die Notwendigkeit des Tablets zurecht gelegt. Ich nahm es auf, es lag direkt vor dem Dunkelhaarigen, rief den Rechner auf und rechnete:
500 - 200 - 149 = 151
Fünfhundert Seemeilen war die Reichweite mit einer Tonne Treibstoff bei zwölf bis dreizehn Knoten. Zweihundert hatten wir auf dem Weg nach Korsika und an der Westküste entlang verbraucht, einhundertneunundvierzig war der Rückweg von Ajaccio zum Cap d’Ail. Das hatte ich vorher im Kopf ausgerechnet, logisch, aber so begründete ich die Anwesenheit des Tablets.
„Dafür brauchst du einen Computer“, sagte er ironisch.
„Dafür nehme ich immer einen Computer“, erwiderte ich. „Ich verrechne mich einfach zu leicht, wenn ich es im Kopf überschlage. Wenn wir wegen Treibstoffmangels liegen bleiben, dann wird es sofort peinlich.“
„Bei deine akkurate und jebildete Sprache könnte man meinen, du wärst wirklich ne Comtesse. Also, wat haste ausjerechnet?“
Nebenher fummelte ich an dem Tablet herum, um die Verbindung zu Seppi wieder herzustellen.
„Wir haben Treibstoffreserven für einhunderteinundfünfzig Seemeilen. Wohin wollen Sie?“
Er nahm mir das Tablet aus der Hand und rief Google-Maps auf, Sizilien.
„Da wollen wir hin, dahin bringste uns jetzt, wa? Leg mal los.“
Ich nahm ihm das Tablet aus der Hand, ganz selbstverständlich. Um ihm die Entfernung klar zu machen, maß ich einhundertfünfzig Seemeilen ab.
„Mit unserem Treibstoffvorrat kommen wir bis“, ich maß die Entfernung. „Genua. Da gibt es einen Freihafen, da tanken wir.“
„Aha“, er nickte und mimte den Verständigen. „Wat hat jetzt der Freihafen mit uns zum tun?“
„Da können wir zollfrei tanken, der Treibstoff ist da von der Mineralölsteuer befreit. Wir müssen den Hafen allerdings auch sofort wieder verlassen und dürfen nicht aus dem Freihafen heraus an Land gehen. Wir können auch im Jachthafen tanken, aber ich gehe nicht davon aus, dass Sie die Tankrechnung zahlen!??“
„Ick mag dir, echt, du bist so schön kiebig. Denn fahr mal los, ab nach Genua.“
„Müssen wir so weit? Ich bin todmüde.“
Er griente süßsauer. Dass er mir das Tablet lassen musste und mir dessen Notwendigkeit nicht in der Art widerlegen konnte, wie er sich das vorgestellt hatte, wurmte ihn ganz offensichtlich. Er merkte, das etwas nicht stimmte, aber konnte mir nichts beweisen. Das wirkte bei ihm noch, er musste seine Machtposition behaupten. Er bestand darauf, dass wir sofort weiter fuhren.
„Der Djoko, der hält dir schon wach, da bin ick mir sicher.“
Er wechselte einen Blick mit dem kleinen Blonden, gab ihm ein Zeichen, er solle auf mich aufpassen, und ging. Djoko schaute mich an, wie die Schlange ein Kaninchen. Dort wo seine Blicke mich trafen, entstand Gänsehaut. Auch wenn ich ihm den Rücken zukehrte, konnte ich sie spüren, die Blicke fühlten sich an wie Messerstiche.
Wenn ich mit dem Gefummel am Tablet ohne hin zu schauen alles richtig gemacht hatte, dann konnte Seppi wieder mithören, Genua müsste er verstanden haben. Nur, was würde er in der Kürze der Zeit erreichen können? Konnte Seppi Italienisch? Würde er jemanden alarmieren? Vielleicht erwartete uns die Polizei in Genua. Das Tablet zeigte mir auf Google-Maps die Route an, der Kartenplotter zeigte sie mir wesentlich genauer, mit allen Seezeichen und Landmarken, mit den Wassertiefen und den Strömungen, aber ich schaute die ganze Zeit aufs Tablet, als sei das das maßgebliche Instrument. Djoko kam und schaute mir über die Schulter. Er nahm mir das Tablet weg, schaute darauf, schaute mich an und zerbrach es. Wirklich wahr, er blickte mich an und zerbrach mein Tablet. Es wirkte, als weide er sich an meinem Entsetzen und als würde ihn meine hilflose Empörung erfreuen. Das zerbrochene Gerät warf er achtlos zu Boden.
„Ja, und? Wie soll ich jetzt …“
Er zeigte grinsend auf den Kartenplotter. Meine Empörung war echt. Ich kann es nicht leiden, wenn man meine Sachen kaputt macht und auch nicht, dass man mich zu irgendetwas zwingt.
„Das ist doch …! Was soll das denn?“
Er schaute mich mit starrem Blick an. Es sah aus, als wenn er auf eine unbedachte Äußerung wartete, um mich zu maßregeln oder mir Schlimmeres anzutun. Eingeschüchtert schaute ich wieder nach vorn. Er setzte sich erneut an die Frühstücksbar auf den ersten Hocker und beobachtete mich, ohne zu blinzeln, ohne zu zwinkern. Keine Regung. Ich hielt ihn mittels des Spiegelbilds in dem dunklen Cockpitfenster im Auge.
Meine Nerven beruhigten sich nach einiger Zeit, meine Empörung hielt an.
Die Fahrt ging nur übers offene Meer und war in meinem übermüdeten Zustand schrecklich langweilig. Der Autopilot hatte längst übernommen, mein Eingreifen war nicht notwendig, jedenfalls nicht in den nächsten fünf-sechs Stunden. Mit meiner Konzentration war es aus dem Grund nicht weit her. Ob ich am Steuer auf dem Fahrersitz eingeschlafen bin, das eine oder andere Mal, kann ich nicht genau sagen, es wird aber so gewesen sein, denn die Zeit machte mehrere merkwürdige Sprünge. Um halb Fünf war es noch dunkel, als ich wieder etwas bewusst wahr nahm, war es sechs Uhr durch, und taghell. Jule brachte mir Obst und nach einiger Zeit auch Kakao und ein aufgebackenes Croissant. Sie musste die Männer mit Essen versorgen, das machte sie widerwillig, aber doch sehr pflichtbewusst.
Eine gewisse Routine kehrte ein, einer der Piraten saß immer hinter mir, die anderen beiden lungerten irgendwo im Schiff herum. Entweder befragten sie Jonas oder schliefen in einer der Kabinen oder lümmelten sich auf den Sofas im Salon herum.
Der große Blonde rauchte! Das gefiel mir überhaupt nicht! Als der Dunkelhaarige beim nächsten Mal in meine Nähe kam, wollte ich ihn deswegen ansprechen. Als ich seinen Blick sah, unterließ ich es. Er sah zum Fürchten aus.
„Jonas bleibt dabei, du hast die Kohle, ick habe ihn jerade noch jefragt“, meinte er mit zusammen gebissenen Zähnen. Er nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
„Weeßte“, berichtete er mir nach einiger Zeit. „Mir is det sicha so unanjenehm, wie et dir is, aba, ick will mein Jeld und ick bekomme mein Jeld, det kannste jlooben.
Also, foljender Plan: Du brings uns hier mit den Äppelkahn nach Batumi, det is in Georgien, ins Schwarze Meer, vastehste? Also, da fahren wir jetzt hin.“
„Georgien?“, rief ich aus. „Was soll ich in Georgien?“
Er grinste böse.
„Du brauchst mir nur meine Kohle jeben, denn biste mir los, vastehste? Wennde Glück hast, denn nehm ick sogar den Djoko mit, wenn ick jehe, vastehste? Würde ick machen, für dir, ick bin halt een Jemütsmensch, ja, det bin ick. Jibst du mir aber die Kohle nich, wa, denn garantier ick für nüscht. Und wenn wir dir als Geisel nehmen und deine Familie bluten lassen, mir isset wurscht, ick krieje meine Kohle.“
Mir wurde echt unheimlich. Schwarzes Meer, Geiselnahme, Familie erpressen, mir wurde schlecht. Nadja würde keinen Cent für mich zahlen und andere Verwandte hatte ich nicht. Doch, die Tante aus Berlin, eine Cousine von Mama. Aber die ging putzen, die hatte nichts, mit dem sie mich auslösen könnte.
„Um wieviel Geld geht es denn überhaupt?“, fragte ich nach einiger Zeit. Von Müdigkeit war bei mir in dem Moment keine Rede mehr.
„Wir haben damals dreihundertsechzig Millionen abjezweigt, die will ick haben und die krieje ick ooch.“
„Dreihun … ? Und die soll ich haben? Was für ein Unsinn! Jonas Frau ist mit dem Golflehrer durchgebrannt, die wird das Geld haben. Außerdem hat Jonas Firmen im Silicon-Valley, daher stammt sein Vermögen.“
„Hat er dir auch so einen Bären aufgebunden?“
„Wieso Bären aufgebunden? Der war außerdem Amerikaner. Und ist auch zigmal mit seinem Privatjet dahin geflogen, ich dachte, um sich um seine Firmen zu kümmern. Außerdem, er wollte seiner Frau einen Golfplatz bauen, das weiß ich genau, der hat die geliebt.“
„Wat wollte der?“
„Er wollte eine künstliche Insel vor Monaco aufschütten und darauf einen Golfplatz errichten. Ist wirklich im Plan gewesen, können Sie glauben. Er hatte die fertigen Pläne und die maßgeblichen Minister bereits in der Tasche. Es ist aus dem Grund nichts daraus geworden, weil sie mit dem Golflehrer durchgebrannt ist.“
Er grübelte ein paar Minuten und sah mich dabei immer wieder an.
„Hört sich fast so an, als wenn det stimmen könnte, wat du sagst. Det ist aba ooch ejal, du bist mitjefangen, denn wirste mitjehangen, Pech jehabt. Mal sehen, wie viel deine Familie für dir locka macht. Ick will meine Kohle haben, dabei bleibt et!“
Er blieb sitzen und starrte aus dem Fenster. Das waren ja düstere Zukunftsaussichten, lieber Himmel!
Wir erreichten Genua, man wies uns einen Anlegeplatz an dem Versorgungskai zu. Von Polizei oder gar von Seppi keine Spur.
Der Tankwart staunte nicht schlecht, als ich nur eine Tonne Diesel bei ihm bestellte. Er führte aber achselzuckend den Auftrag aus. Ich bezahlte und damit waren wir wieder reisefertig. Der große Blonde war an Land gegangen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich ihnen nicht von dem zollfreien Supermarkt innerhalb des Freihafens erzählt hätte. Es gab ihn, damit sich durchreisende Schiffsbesatzungen mit Alltags- und Luxusgütern günstig versorgen konnten, ohne den Freihafen verlassen zu müssen. Der Große kam nach einiger Zeit mit einer Einkaufstüte voller Schnapsflaschen und Zigaretten zurück. Das konnte ja heiter werden.
Wir legten ab und fuhren südwärts. Mit dem Treibstoffvorrat würden wir bis Santa Catarina kommen, von hier aus hinter Neapel, ich zeigte es dem Dunkelhaarigen, die Routenplanung hatte ich während des Tankvorgangs auf dem Kartenplotter erledigt und den Autopiloten programmiert. Ich beklagte mich darüber, dass der Djoko das Tablet zerbrochen hatte und mir nun die Übersicht fehlte. Die Beschwerde beantwortete er mit einem Achselzucken und befahl:
„OK, denn mach mal, leg los!“
Die Reise ging bis zur nächsten, einigermaßen geschützten Bucht. Dort hielt ich und wies Jule an, mir beim Ankern zu helfen.
„Heh!“, beschwerte sich der Dunkelhaarige. „Wat solln det?“
„Ich bin seit über zwanzig Stunden gefahren. Es geht erst wieder weiter, nachdem ich mich ausgeruht habe.“
Damit stellte ich eine Tatsache in den Raum und fragte ihn nicht um Erlaubnis. Erst schaute er böse, dann entspannte sich seine Miene.
„Ick liebe dir, wenn du so kiebig bist, Kleene. Denn schlaf mal ne Runde, hast Kabine zwee.“
„Nixda, ich schlafe in meinem Bett!“, bestand ich. Für Diplomatie war ich zu müde.
„Von wegens, da habe wir et uns jemütlich jemacht, du schläfst mit deine Jeliebte in Kabine Zwee.“
Er ließ sich auf keine weitere Diskussion ein. Wir durften unsere Toilettensachen holen, dann schlossen sie uns in ‚Kabine Zwee‘ ein, die kleinere unter Deck. Die Müdigkeit war bei mir mit einem Schlag so groß, dass ich mich nicht mehr auszog, sondern aufs Bett fallen ließ und sofort einschlief.
An einen Traum konnte ich mich beim Aufwachen noch erinnern, ich lief im Dunklen durch eine Unterführung, es rannte jemand hinter mir her. Ich floh, aber kam nicht vom Fleck. Er packte mich und rüttelte mich, dann erwachte ich mit einem Riesenschreck und klopfendem Herzen. Draußen war es dunkel, der Oberpirat stand neben meinem Bett und rüttelte mich wach. Der Albtraum war noch nicht zu Ende, der Verfolger aus der Unterführung wäre mir lieber gewesen, als dieser dunkelhaarige Sadist.
„Hörmal, Meechen, willste den Rekord im Langschlafen brechen oder wie ist det? Steh uff, et jeht weita. Wir haben nich ewich Zeit!“
Er roch stark nach Alkohol, sie schienen dem Schnaps aus Genua zugesprochen zu haben.
Die Kurzhaarfrisur war wirklich sehr praktisch, an den Haaren brauchte ich nichts zu tun, einmal durchbürsten und fertig. Aber anziehen musste ich mich. Ich trug nur das Hemdchen, das ich normalerweise als Nachthemd trage. Jule hatte mich entkleidet und zugedeckt, dafür bedankte ich mich bei ihr. An Deck fanden wir Chaos und Unordnung vor. Der Sofatisch war voller Dreck und Asche, es gab sogar Brandspuren von liegengelassenen Zigaretten darin. Auch der nagelneue Teppichboden wies etliche Brandlöcher auf. Entnervt zeigte ich dem Dunkelhaarigen den Dreck und die Beschädigungen.
„Schätzchen, det Schiff und sein Teppichboden sind, ehrlich jesacht, dein kleenstet Problem, wa? Sieh zu, det wir voran kommen.“
Er lallte ein wenig und war auch nicht besonders sicher auf den Beinen.
„Kiek ma!“, wies er mich an und zeigte auf Djoko. Der stand am Eingang zum Achterdeck und stierte zu uns herüber.
„Ick wees nich, wie lange ick den noch halten kann. Sieh zu, det wia Kilometa machen, det is die einzije Möglichkeit, det Problem zu lösen.“
Mit dem Druck der Drohung im Hinterkopf gingen wir Anker auf und fuhren los. Natürlich blieb ich bei den zwölfeinhalb Knoten, logisch. Sobald wir in Fahrt waren, der Autopilot waltete seines Amtes, schaute ich, was zu tun war. Jule bereitete etwas zu essen für uns, lecker, wie immer. Da ich das Steuer nicht verlassen durfte, richtete sie mir etwas auf einem Teller an und ich aß am Steuer. Sie saß derweil auf dem Beifahrersitz und leistete mir Gesellschaft.
Sie ging öfter zur Küche, um etwas zu holen oder weg zu bringen, immer folgte ihr der Djoko mit Blicken. Der war mehr als unheimlich. Er trank ab und zu aus einer halbleeren Literflasche, die anscheinend Grappa enthielt. Mittlerweile war es komplett dunkel, das behinderte mich nicht, mir reichte der Kartenplotter für die Navigation.
Nach einiger Zeit nahm Jule auf der Sitzbank neben dem Cockpit Platz, da wurde er des Schauens müde. Er hielt Wache und zog uns nicht mehr mit den Blicken aus. Nach einiger Zeit wanderte er zurück aufs Achterdeck und stellte sich an die Reling. Auf der Backbordseite zog die beleuchtete Küste vorbei, die betrachtete er gelangweilt, immer wieder trank er dabei aus der Schnapsflasche. Mir kam eine Idee.
Der Dunkelhaarige und der Große lungerten auf der Couch im Salon herum, sie dösten mehr, als sie wachten, schauten fern und tranken ebenfalls aus Schnapsflaschen. Jule vertrat mich auf dem Kapitänssitz, ich schlich mich die Treppe hinunter, auf der es zu der Crewkabine, dem Maschinenraum und vom Schiffsinneren aus zur Badeplattform ging.
Rings um die Badeplattform befand sich eine steckbare Reling. Während der Fahrt war sie eingesteckt, wenn man baden wollte, zog man sie aus der Halterung heraus und verstaute sie in dem Schapp. Sie war zweigeteilt, das Gestänge auf der Backbordseite zog ich heraus, leise-leise, damit der besoffene Djoko auf dem Achterdeck oberhalb der Badeplattform nichts davon mitbekam, und lehnte es an die Steuerbordreling, die eingesteckt blieb.
Zurück am Ruder schaute ich nach, wie es den beiden Besoffskis auf der Saloncouch ging. Der Große schnarchte laut, der Dunkelhaarige sah ebenfalls so aus, als ob er schliefe.
Alles sah gut aus, wie ich durch die Heckkamera beobachtete. Der Djoko stierte auf die vorbei ziehenden Lichter am Ufer und trank aus der Flasche. Als er mal wieder einen Schluck nahm und sich weder festhielt, noch auf seine Umgebung achtete, gab ich Vollgas. Das Schiff machte den bekannten Satz durch die Beschleunigung, Djoko verlor prompt das Gleichgewicht und wurde heckwärts getrieben. Er fiel kopfüber die Treppe zur Badeplattform hinunter, ich sah noch seine Arme und auch die Beine in der Luft, dann verschwand er aus dem Blickfeld der Kamera. Die Geschwindigkeit fuhr ich sofort wieder zurück. Der Dunkelhaarige erwachte, raffte sich sehr mühsam auf und kam ins Cockpit getorkelt.
„Wat war det?“, fragte er lallend.
„Was jetzt genau?“, fragte ich und sah konzentriert in die Nacht hinaus.
„Ick hab doch wat jehört! Verarsch mir nicht! Wat war det, nu sag schon!“
Vor lauter Ärger wurde er fast schon wieder nüchtern.
„Ach, Sie meinen die Fehlzündung? Das haben Sie gehört? Der Backbordmotor macht mir Sorgen. Das war jetzt die dritte Fehlzündung innerhalb der letzten halben Stunde“, flunkerte ich. „Ich würde gern eine Werft anlaufen, um nachschauen zu lassen, was das war.“
„Nix da, Fehlzündung am Arsch. Fahr weita.“
„Sie müssen es wissen, Sie riskieren einen Motorschaden.“
„Mach dir ma keenen Kopp, Schätzchen, det wird nich so schlimm sein.“
Er sah den beleuchteten Bildschirm und dass die Heckkamera eingeschaltet war.
„Wieso? Wat jibtet da hinten zu kieken? Hä?“
Vielleicht ging er nachschauen und gab mir damit die Gelegenheit, auch ihn über Bord gehen zu lassen, das wäre doch etwas. Ein schlechtes Gewissen hatte ich nicht. Wenn der Djoko schwimmen konnte, dann hatte er die Möglichkeit, die anderthalb oder zwei Kilometer zum Ufer zu schwimmen. Wenn nicht, dann leider nicht, das war aber nicht mein Problem. Mein Problem näherte sich der Brüstung des Achterdecks, um von der Mitte des Decks auf die Badeplattform hinab zu schauen. Er gab mir leider keine Gelegenheit, ihn ebenfalls aus dem Gleichgewicht zu bringen, die Treppe hinab stürzen und über Bord gehen zu lassen. Aber von dort oben, wo er stand, musste er unbedingt die ausgehakte Seite der Reling entdecken, mein Herz klopfte vor Angst bis in den Hals hinauf.
„Nee, allet klar. Wat jab et denn da zu kieken?“
„Nichts, die Kamera muss noch von heute Mittag so stehen. Ich hab sie seitdem nicht mehr angerührt.“
„OK“, er war beruhigt. Er stand hinter mir und schaute zu, wie ich mich am Steuerrad festhielt.
„Sachma, hast du den Djoko jesehen?“
Jule schlich sich hinter ihm von der Treppe zum Maschinenraum auf die Sitzbank neben dem Cockpit. Sie war es, die das Geländer wieder eingesteckt hatte, super. Geht doch nichts über Gedankenübertragung und Teamwork.
„Ja, er stand auf dem Achterdeck und ist zur Badeplattform hinunter, das habe ich noch gesehen.“
„Na, denn wird er von da in die Kabine jejangen sein. Ick kiek mal nach, nich det er den Jonas kalt macht.“
Djoko würde an Bord dieses Schiffes niemanden kalt machen, das stand fest.
Nach einiger Zeit kam er die Treppe wieder hinauf getorkelt und legte sich auf die Couch im Salon. Jule und ich klatschten uns ab, leise und diskret, versteht sich. Einer weniger. Ich sprach für mich und für Jule mit ihr über unser nächstes Ziel, damit sie informiert und ich sicher war. Einen festen Zeitplan zu haben fand ich hilfreich, damit war die Reise besser durchzustehen, fand ich in dem Moment zumindest.
„Wir erreichen Marina di Casal Velino etwa in zwei Tagen gegen siebzehn Uhr,“ erklärte ich ihr leise und hatte mir damit ein ziemlich großes Pensum aufgehalst. Von unserem Standpunkt aus waren es noch deutlich mehr als vierhundert Seemeilen, das bedeutete eine reine Fahrzeit von mehr als dreiunddreißig Stunden.
In der Nacht versuchten wir, heimlich an unsere Handys zu kommen. Keine Chance, wir fanden sie nicht. Den Seefunk hatte der Djoko außer Betrieb gesetzt, indem er die Sicherung entfernt hatte, die das Funkgerät mit dem Strom verband. Jetzt auf blauen Dunst irgendwo anzulegen und um Hilfe zu bitten, trauten wir uns nicht, Jule und ich. Außerdem wussten wir nicht, wie tief die Piraten schliefen. Als ich probeweise an ihnen vorbei zum Achterdeck ging, blinzelte der Dunkelhaarige. Er war auf der Hut. Meine, unsere Stunde würde noch kommen, da war ich sicher.
Am nächsten Morgen, wir waren schon wieder elf Stunden unterwegs, tauchten die Piraten im Cockpit auf.
„Hat sich der Djoko jemeldet?“, fragte mich der dunkelhaarige Oberpirat.
Ich schaute ihn nur an.
„Na, nu sag schon, ick bin nich in Bestform, reiz mir besser nich!“
„Der Djoko“, erklärte ich ihm mit voller Ironie. „Der Djoko, der und sich bei mir melden. Ja nee, ist klar!“
Er verstand und griente.
„Ick liebe dir ooch!“, meinte er nur und bat Jule mit Gesten um eine Tasse Kaffee. Wir fuhren weiter und weiter. Plangemäß suchte ich nach vierzehn Uhr einen Ankerplatz.
„Watt is los?“, fragte die neugierige Nervensäge von einem Piraten.
„Ich habe jetzt siebzehn Stunden das Schiff gesteuert, jetzt ist Ruhepause. Wecken Sie mich bitte nicht vor einundzwanzig Uhr.“
Er schaute ernst, erst dachte ich, er wird aggressiv. Aber nach ein paar Augenblicken grinste er.
„Du bist wieder so schön kiebig, det jefällt mir. Dir kann man wohl nich einschüchtern, wa? Finde ick jeil. Ma sehen, velleicht jönn ick mir dich, wenn wa in Batumi sind. Du bist bestimmt geil zu ficken.“
Nee, darauf freute ich mich auch ganz besonders. Ich musste dringend überlegen, wie wir die beiden Burschen auch noch los wurden. Auf Hilfe von außen konnten wir ganz offensichtlich nicht hoffen. Woher sollten Seppi, so er den Anruf überhaupt mitbekommen hatte, woher sollte er wissen, wo wir uns jetzt im Moment aufhielten?
Wenn wir einen los geworden waren, dann würden wir auch die anderen beiden loswerden. Da schwang meine Zuversicht mit, wieso auch nicht? Jule und ich hatten bisher noch allen Problemen getrotzt, inklusive des bekloppten Diego und eines versenkten Schiffes. Das hier würden wir auch noch hin bekommen.
Wie gestern schlief ich sofort ein, allerdings erst als ich die Zähne geputzt und das Nachthemdchen übergezogen hatte.
Tatsächlich war es kurz nach einundzwanzig Uhr, als er uns weckte. Er hatte wirklich und wahrhaftig meine Ruhezeit beachtet, dachte ich zumindest im ersten Moment.
„Wo ist dein Tablet?“, fragte er als Begrüßung, noch während er meine Schulter rüttelte.
Schlaftrunken wie ich war, antwortete ich wahrheitsgemäß:
„Das hat doch der Djoko zerbrochen, wissen Sie doch. Warum?“
„Komm hoch, et jeht weita!“
Mit einem einzigen Blick klärte ich ihn darüber auf, was ich von ihm hielt und was er mich konnte. Davon nahm er sich, wie zu erwarten, nichts an.
„Sieh zu, sieh zu!“, meinte er nur und verschwand.
Als ich ins Cockpit kam, stand er schon da. Er versuchte vergeblich, den Kartenplotter einzuschalten.
„Was suchen Sie?“
„Wo sind wir? Wo ist die nächste Stadt?“
Die Instrumente schaltete ich ein, als er gerade woanders hin schaute. Auf dem Plotter erschien die Küste.
„Wir sind hier“, zeigte ich ihm. „Wieso? Was ist los?“
Er wählte auf seinem Handy und gab Anweisung an den Angerufenen.
„Komm nach Civitavecchia, ick buchstabiere, Ceh-ih- …“
„Was ist denn los?“, fragte ich, als er fertig buchstabiert hatte und das Gespräch beendete.
„Du hast den Djoko über Bord geworfen!“
„Was habe ich?“
„Sagt er. Wir treffen ihn in Civitavecchia, fahr mal da hin.“
Das war eine Hafenstadt, nahe bei Rom.
„Djoko ist über Bord gegangen?“
„Tu mal nicht so scheinheilig. Det wirst du noch bereuen!“
„Ich hab doch nicht …“, mein Herz klopfte bis in den Hals hinein, die Gefahr, in der ich mich befand, war riesig.
„Ich schwöre, ich habe nicht… , wie sollte ich das tun? Ich bin die ganze Zeit am Steuer gewesen. Er stand auf dem Achterdeck und hatte dauernd die Schnapsflasche am Hals, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Sicher war der nicht mehr auf den Beinen. Ich mein, er wär runter zur Badeplattform, keine Ahnung, und er ist über Bord gegangen?“
Er bedachte mich mit finsterem Blick und schaute dann geradeaus aus dem Cockpit.
„Ab in die Kabine!“, wurde uns befohlen, sobald wir das Schiff in der Marina von Civitavecchia festgemacht hatten. Mir schwante Fürchterliches, Jule tröstete mich.
„Wird schon nicht schlimm werden, es weiß jeder, dass sie besoffen waren wie tausend Russen. Da passierts einfach, dass mal jemand über Bord geht. Selbst Schuld.“
Mit den tröstenden Worten im Ohr schlief ich ein. Es war schon wieder hell, als ich erwachte. Djoko und der Dunkelhaarige standen neben meinem Bett. Aus dem Schlaf heraus verfiel ich bei dem Anblick gleich in Panik. Beide Männer schauten finster.
„Wir werden dir im Ooge behalten, Schätzchen. Noch son Stunt und ick lasse den Djoko det tun, wat er am liebsten mit dir machen würde. Jetzt raus, et jeht weita.“
Während des Zähneputzens arbeitete ich einen Plan aus, wie es jetzt am leichtesten weiter ging. Was ich als Erleichterung empfunden hatte, die niedrige Geschwindigkeit und die geringe Reichweite, empfand ich in dem Moment als unnötige Verlängerung unseres Leidens. Dann dachte ich daran, was uns im Schwarzen Meer erwartete, da war ich dann doch dankbar für die Idee, das Tankvolumen und die tatsächliche Geschwindigkeit des Bootes zu verheimlichen.
Wenn wir hier tanken würden, wo wir schon einmal im Hafen waren, würden wir mit einem weiteren Tankstopp bis Kreta kommen. Warum ich unbedingt dort hin wollte, war mir nicht klar. Bei einer raschen Durchsicht der Route war mir Kreta ins Auge gefallen, dort gab es mindestens einen großen Hafen, den es an der Südküste des Peloponnes nicht gab, oder ich entdeckte ihn nicht gleich, und dort auf Kreta gab es eine Werft, die mir bekannt war.
Im Cockpit schlug ich dem Dunkelhaarigen den vorgezogenen Tankstopp vor und erklärte auch, was er für Vorteile beinhaltete.
„Wat willste denn uff Kreta?“
Ich zuckte mit der Schulter, als sei mir das nicht wichtig.
„Das ist die beste und unproblematischste Route. Da können wir tanken, da gibt es eine Werft, falls der Backbordmotor doch kaputt ist. Außerdem haben die einen sehr schönen, venizianischen Hafen aus dem 14. Jahrhun …“
„Weeste, wat mir dein venizianischer Hafen mal kann? Wat is denn mit Athen, det liecht doch ooch in unsere Entfernung, oda?“
„Hab ich gerechnet, nein, passt knapp nicht, es sind dreißig Meilen zu viel. So knapp zu kalkulieren liegt mir nicht. Mir wäre es lieber, wenn wir von Roccella aus Chania anlaufen.“
„Wat is Roccella?“
„Das ist einer der wenigen Häfen an der Südküste Italiens. Von da nach Chania auf Kreta geht es in einem Rutsch. Das ist die einfachste und eine der schnellsten Routen. Vor allem aber die sicherste.“
Er schaute mich weiter an, fällte dann die Entscheidung:
„OK, wir fahren über Kreta, ist kaum ein Umweg, von da aus schaffen wir et leicht bis in det Schwarze Meer, oda? Hab ick doch richtig jerechnet?“
„Nicht ganz, wir müssen vor Istanbul nochmal tanken“, berichtigte ich ihm, nachdem ich mittels des Kartenplotters die entsprechende Berechnung durchgeführt hatte. „Dafür würde sich Mytilini auf Lesbos hervorragend eignen.“
„Da kennste dir aus, auf Lesbos, stimmts? Ihr zwee Dosen aufeinander, det vasteh ick sowieso nich. Trotzdem würde ick det jern mal sehen, wie ihr et so miteinander treibt. Haste denn schon mal mit een richtijen Kerl jepimpert? Macht viel mehr Spaß als mit eine Frau.“
Es juckte mich, etwas Direktes zu erwidern. Diesmal traute ich mich, obwohl allerhand Drohungen im Raum hingen. War ich Lona oder war ich feige?
„Wissen Sie das aus eigener Erfahrung, dass es mit einem Mann mehr Spaß macht als mit einer Frau?“
Es dauerte einige Augenblicke, bis er die Anzüglichkeit verstand. Dann musste er lachen und wackelte mit dem Zeigefinger.
„Pass uff, Herzchen!“, meinte er im Spaß. Er wurde wieder ernst und bemerkte:
„Du brauchst det Tablet gar nich, stimmts? Hast mir verarscht, wa?“
„Nein. Mir ist es lieber, mit dem Tablet zumindest das Grobe, die Übersicht zu sehen und das Wetter im Griff zu behalten. Der Plotter ist für die Seefahrt gemacht, mit allen Seezeichen, allen Bojen, den Untiefen und den anderen wichtigen Marine-Punkten. Für die Übersicht ist das Tablet besser. Zumindest für mich. Außerdem, mit dem Rechnen habe ich es nicht so, da bringt mir eine Kontrolle mit dem Tablet deutlich mehr Sicherheit, als alles im Kopf zu rechnen.“
Er akzeptierte die Ausrede. Um etwas mehr Ruhe in der Seele zu haben, fragte ich:
„Ist denn mit Djoko alles in Ordnung? Kann er sich noch richtig erinnern?“
Der Dunkelhaarige guckte wieder grimmig, vergessen war nichts, das machte er deutlich.
„Er weeß bloß, det er an Deck jestanden hat und uff eenmal lag er im Wassa. Wat dazwischen passiert is und wie er da hin jekommen is, hat er nicht mitjekriecht. Hast nochmal Glück jehabt. Nimm dir in Acht, Frolleinchen, nimm dir in Acht!“
Mir lag auf der Zunge, ihn an ‚Comtesse‘ zu erinnern, aber ich war froh, dass sie meinen Anschlag auf Djoko nicht weiter verfolgten, so ließ ich es ihm durchgehen.
Was mich an Kreta so reizte, wusste ich nicht zu sagen. Das war einer der mir bekannten Punkte auf unserer Reise, vielleicht lag es daran. Wahrscheinlich war die Insel der letzte Punkt auf der Fahrt, den ich kannte, an dem es unter Umständen sogar Menschen gab, denen ich bekannt war und an die ich mich wenden könnte. In der Werft würden sie mich auf jeden Fall kennen. Ob sie mich den Backbordmotor nachschauen ließen? Sobald mehr Leute an Bord waren, ergab sich vielleicht eine Möglichkeit, die Piraten los zu werden oder zu fliehen.
Der Dunkelhaarige saß auf dem Beifahrersitz und schaute durch das Cockpitfenster hinaus. Er war noch nicht fertig, so sah er aus.
„Pass ma uff, Kleene. Du bist nicht so dumm, wie man denken könnte, wenn man dir sieht. Ick habe et im Urin, det du wat mit dem Djoko seine Schwimmeinlage zu tun hast.“
Er schaute mich an, sehr ernst und sehr bedrohlich, obwohl er in ganz normalem Plauderton sprach.
„Wir brauchen nur dir, um unsere Ziele zu erreichen, ist klar, oda?“
Er schaute rüber und wartete so lange, bis ich nickte.
„Also, wenn du dir nochmal irjendeenen Stunt erlaubst, wa, du weeßt wat ick meine, wa?“
Er wartete wieder bis ich nickte.
„Also, denn tun wir deine Freundin außenbords, so nennt ihr Seefahrer det doch, wa? Et is zwar janz nett anzuschauen, det Mädel, und et schmeckt ooch, watse kocht. Aba, ick jloobe, et würde dir wat ausmachen, wenn se nich mehr da wär, stimmt det?“
Mir klopfte das Herz bis in den Hals. Was er androhte war gruselig.
„Also, um det nochma klar zu sagen: wenn nur die kleenste Unpässlichkeit hier an Bord passiert, ejal wat. Wir werden dir dafür verantwortlich machen und deine Kleene wird et büßen, klaro? Bevor wir se über Bord schmeißen, lassen wir den Djoko ran. Hat der sich vadient, is klar, wa? Ob se denn noch schwimmen kann, weeß der Himmel, aber et wird ihr nich jut jehen und se wird ooch nich mehr an Land kommen, davon kannste ausjehen.“
Er schaute wieder durchs Cockpitfenster in den Hafen hinaus.
„Also, sind wa uns einig?“
Er schaute rüber und wartete wieder so lange, bis ich nickte.
„Jut, denn lass uns ma tanken und denn fahren wir, wie besprochen. OK?“
„OK!“, bestätigte ich mit Herzklopfen.
„Denn mal los!“
Wir tankten und waren vor acht Uhr wieder auf See.
Nach zwölf Stunden Fahrt war der Dunkelhaarige mit einer Pause einverstanden, wir ankerten vor der Insel Ischia, ohne eine Möglichkeit zum Landgang, war mir lieber so. Am nächsten Morgen ging es bereits kurz vor sechs Uhr weiter Richtung Messina. Ziemlich genau um zehn am Abend erreichten wir Scilla, dort ankerten wir in einer Bucht. Unmittelbar nach einem hastigen Imbiss fiel ich in tiefen, traumlosen Schlaf. Auf die Dauer schlauchte das Bootfahren ganz schön. Vor allem, da ich dauernd so tun musste, als müsste ich aufpassen wie ein Luchs, dabei steuerte der Autopilot. So kam ich nicht zur Entspannung, sondern musste stets und ständig auf der Hut sein.
Ab jetzt war es nur ein verhältnismäßig kleiner Turn von sechs Stunden, bis zur nächsten Tankpause in der Marina von Roccella. Kaum dort angekommen, verordnete mir der Dunkelhaarige sofortige Bettruhe. Nach sieben Stunden weckte er mich wieder.
„So Mäusken“, meinte er. Nach dem abgebrochenen Schlaf war ich leicht grantig.
„Comtesse Lona, bitteschön“, verlangte ich. „So viel Zeit muss sein!“
Er lachte.
„Ick habe ooch schlechte Laune, wenn man mir weckt. Ick finde dir richtig süß, wenn de so grantig bist. Manchmal könnte ick dir echt knutschen!“
Der Blick, denn ich ihm zuwarf, hielt ihn von weiteren Vertraulichkeiten ab.
„So, denn mal los. Deene Jule hat schon jetankt, ick hab mit deine Bankkarte jezahlt. Fühlt sich jut an, so viel Jeld aufs Konto.“
Er sah zu, wie ich den Kurs eingab. Von jetzt an würden wir erst in mehr als sechsunddreißig Stunden wieder Land in Sicht bekommen. So weite Strecken war ich bereits gefahren, allerdings nicht mit einer so handfesten Bedrohung im Hintergrund und auch nicht mit dieser Scharade, dass ich dauernd so tun musste, als müsste ich aufpassen, obwohl der Autopilot die Fahrt ganz großartig allein bewerkstelligte.
Am Ablauf änderte sich nichts, einer der Piraten war ständig auf Wache und beaufsichtigte uns. Mit Jule verabredete ich, dass wir uns alle vier Stunden am Steuer ablösen, während die andere auf der Couch nebenan schläft. Es bestand die Gefahr, dass sich die Ganoven anboten, uns dort abzulösen. Sie würden rasch bemerken, dass man nichts tun musste und eine Aufsicht eigentlich überflüssig war. Rein theoretisch könnte man, den Kurs einmal eingegeben, ins Bett gehen und dem Autopiloten alles überlassen.
So wechselten wir uns nach vier Stunden ab, von den Piraten kamen dazu keine Bemerkungen. Sie hielten uns wohl beide für sachkundig. An Jule richteten sie kein Wort, sie glaubten uns, dass sie nur französisch und italienisch sprach.
Beruhigend fand ich, dass sie keinen Schnaps mehr gekauft hatten, weder in Civitavecchia noch in Rocella.
Die Fahrt war sehr ermüdend. Wir mussten ständig auf der Hut sein, weil die Bedrohung durch den Djoko immer intensiver wurde, seine Blicke immer zudringlicher, immer gegenständlicher sein Verlangen. Jule und ich gaben ihm so wenig Anreize, wie es eben ging, wir trugen lange Hosen und weite Oberteile. Ganz verbergen konnten wir unsere Körper natürlich nicht. Nach dreißig Stunden waren wir beide so müde, dass wir gewiss unattraktiv aussahen. Djoko sah das wohl anders, er glotzte weiterhin.
Mein Wunsch, den Backbordmotor in der Werft nachschauen zu lassen, wurde vom Dunkelhaarigen abschlägig beschieden.
„Det is nicht nötig, Schätzken, det wirste sehen. Is ja ooch jetzt nicht mehr uffjetreten, oda? Wa?“
„Nein, im Moment höre ich auch nichts, aber es war ja da.“
„Det macht een Motor schon mal, mach dir nüscht draus. Außerdem, ick weeß ja noch nich, ob wir dir det Boot wieder jeben, kommt ja druff an, wat deine Familie bezahlt, wa? Sonst vakitschen wir den Kahn, denn haben wir wenigstens en bischen wat.“
Mir wurde echt schlecht. Die Drohung war eindeutig. Was mit uns passierte, wenn sie ihr Geld nicht bekamen, wagte ich nicht, mir auszudenken. Ich brauchte nur Djoko anzuschauen und nachzufühlen, was er dachte, da wurde mir von den Gedanken erst recht schlecht. Fest stand, dass sie von mir und meiner Familie gewiss keinen Cent sehen würden.
OK, ich könnte ihnen das Konto bei der Investmentbank übergeben, aber das waren ja beileibe keine dreihundertsechzig Millionen. Damit wären wir gewiss nicht aus der Gefahrenzone heraus. Wenn ich mich von dem Geld trennte, blieben mir immer noch die voraussichtlichen Einnahmen aus der Cupidon-Gesellschaft, die mein süßer Seppi jetzt wohl gerade gründete. Aber gewiss war es nicht, dass wir safe waren, sobald sie mein Geld hatten. Die Entscheidung, ob ich ihnen mein Geld gab oder nicht, würde ich auf jeden Fall so lange wie möglich hinaus schieben wollen.
Nach unendlich lang erscheinenden siebenunddreißig Stunden sichteten wir Land, Kreta lugte über den Horizont. Auf der Frequenz der Hafenmeisterei erreichte ich jemanden, der mich mit starkem, griechischen Akzent auf englisch bat, um die Halbinsel herum nach Souda zu fahren, in Chania habe man ein Problem mit dem Versorgungskai. Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Funkline löste etwas in mir aus, das ich nicht klar beziffern konnte, aber sie ließ eine wunderbare Saite in mir anschlagen. Der Seefunk verzerrt die Stimmen immer, damit erklärte ich mir die plötzliche Gemütsregung als einen Zufall.
Mir wurde bestätigt, dass wir auch in Souda zollfrei tanken könnten, da beruhigte man mich. Wir wären auch für die Nacht dort willkommen, müssten nur bis spätestens 12:00 Uhr mittags am nächsten Tag den Hafen verlassen haben.
Der Dunkelhaarige hörte mit.
„Da machen wir mal ne Nacht lang Pause, ick kann det Drecks-Jeräusch von die Maschinen nich mehr hören. OK, Süße, Endspurt!“
Das Hafenbüro wies mir einen Platz zu, als wir die Hafeneinfahrt passierten. Rechts und links von unserem Liegeplatz lagen ein Ausflugsdampfer und ein Saugbagger, mit dem man wohl das Hafenbecken ausbaggerte oder die Hafeneinfahrt. Beide lagen dort fest vertäut, waren wohl nicht in Betrieb. Wir sollten rückwärts anlegen, das ging recht flott mit den Bedienelementen auf dem Achterdeck und Jule an den Fendern und den Leinen, obwohl der Raum zwischen den beiden Schiffen gerade eben ausreichend war. Alle drei Schiffe lagen dicht an dicht. Über die Notwendigkeit, so dicht nebeneinander zu liegen, machte ich mir mit dem übermüdeten Kopf keine Gedanken.
Kaum lagen wir fest vertäut und alle Maschinen und die Elektronik herunter gefahren, verzogen sich Jule und ich mit einer vorbereiteten Mahlzeit in unsere Kabine. Dort speisten wir in Ruhe und gingen bereits vor acht Uhr abends zu Bett.
Nachts um drei wurde ich wach. Mir war unruhig zumute. Zuerst dachte ich, es sei Durst, der mich geweckt hatte. Ich schlich mich hinauf in die Kombüse und trank etwas. Alle drei Piraten waren noch wach, sie schauten sich auf dem großen Fernseher im Salon einen Film an, sie tranken dabei Wein oder Bier. Es gab eigentlich keinen Grund, heimlich zu tun, jedoch wollte ich die Herren so wenig wie möglich auf mich aufmerksam machen, so schlich ich mich barfuß oben auf die Flybridge. Die Luft war seidig, lauwarm, wunderbar. Im Hafen leuchteten etliche Lampen, hinten in der Stadt war noch Betrieb, einige Nachtschwärmer waren unterwegs.
Nach einiger Zeit gesellte sich Jule unverhofft zu mir. Sie hatte es fertig gebracht, Kakao zu kochen, ohne dass die Entführer etwas davon mitbekamen. Sie drückte mir eine Tasse in die Hand, ich bedankte mich lautlos mit einem Küsschen. Überhaupt war mir sehr nach ihrer Nähe, jetzt, in dem Moment. Wir kuschelten uns auf der breiten Liege zusammen und schauten von dort hinunter durch die gläserne Brüstung auf den Kai und die Stadt.
Zwei sehr betrunkene Männer, die wir für Seeleute hielten, torkelten Arm in Arm den Kai entlang in unsere Richtung. Vielleicht gehörten sie zur Besatzung des Schwimmbaggers oder zu dem Ausflugsdampfer. Sie unterhielten sich leise, aber waren ganz offensichtlich betrunken.
Sie gingen auf den Schwimmbagger zu und dort an Bord. Wir wunderten uns, dass kein Licht an Bord erschien. Dann sah ich sie, sie schlichen an der Reling auf unserer Seite entlang. Deren Reling lag etwa einen halben Meter über der Reling unseres Oberdecks, etwa einen halben Meter von unserem Schiff entfernt, uns trennten nur die Fender. Die Männer wirkten nun nicht mehr betrunken, sie schwangen sich geräuschlos über die Reling des Saugbaggers auf den Gang unseres Schiffes, in Höhe der Kombüse. Die Tür vom Gang in die Küche öffnete sich lautlos, die beiden Gestalten huschten hinein. Jule und ich hingen an der Reling mit klopfendem Herzen und sahen zu, was passierte. Sobald die beiden Gestalten in der Kombüse verschwunden waren, schlichen wir die Treppe hinunter und beobachteten von dort aus, was geschah. Von unserem Standort aus hatten wir einen Einblick in die Kombüse und einen Überblick über den Salon. Die drei Raubritter hingen auf dem Sofa, schauten konzentriert irgendeinen Ballerfilm, tranken Wein und Bier und krümelten alles mit Chips voll. Bei dem Film ging es lautstark zur Sache, Gefechtslärm schallte durch den Raum, es wurde reichlich geschossen, gesprengt und geschrien.
Die beiden Gestalten in der Kombüse lugten vorsichtig über die Frühstücksbar. Was waren das für Figuren? Sie waren schwarz vermummt mit Sturmhauben auf dem Kopf, die nur die Augenpartie frei ließen. Mir kam gleich Seppi und seine Bundeswehrzeit in den Kopf. Der war doch bei irgend so einer Kampftruppe, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuschte. Aber wie sollte der hierher kommen? Er konnte nicht wissen, wo wir uns befanden, das Tablet war seit Genua tot. Nein, den Gedanken schlug ich mir aus dem Kopf.
Atemlos schauten wir, was passierte. Es war klar, dass sie den drei Spießgesellen nicht freundlich gesonnen waren, sonst wären sie nicht heimlich an Bord gekommen und würden sich jetzt verstecken. ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund’, eine alte arabische Weisheit, soweit ich weiß. Wie konnte ich die beiden Feinde unserer Feinde unterstützen? Wir beobachteten atemlos, was sich tat.
Die beiden schwarz Gekleideten orientierten sich. Als ich die Bewegungen des einen betrachtete, da klopfte mein Herz. Sollte das tatsächlich Seppi sein? Ach nein, das war zu unwahrscheinlich. Obwohl mir heute Nachmittag das Herz ebenfalls geklopft hatte, als ich die stark akzentuierte Sprache der Hafenmeisterei hörte und deren Fragen beantwortete. Das war mir bei der Übermüdung nicht gesondert aufgefallen, aber jetzt könnte es einen Sinn ergeben haben, auch dass man uns nach Souda dirigiert hatte. Hier im Hafen war es dunkler und weniger belebt, als in Chania. Dort war längs des Hafens Gastronomie und reichlich Remmidemmi, alles hell erleuchtet und dauernd Leute auf der Straße. Hier nun war es beinahe totenstill, draußen, ideal für einen unbemerkten Angriff.
Im Salon tobte der Krieg lautstark aus dem Fernseher und der Surround-Soundanlage. Die drei Piraten waren hoch konzentriert, trotz des Alkoholkonsums, dem sie ausgiebig frönten. Jedoch galt ihre Aufmerksamkeit nicht der direkten Umgebung, sondern nur dem Geballer auf dem Fernseher, der Film war wohl sehr spannend.
Die beiden Gestalten aus der Kombüse kamen nicht recht weiter, sie diskutierten. Ich ging ganz offen in die Kombüse hinein und öffnete den Kühlschrank. Der Dunkelhaarige schaute kurz,
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Kommentare
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Cathy
...das ist doch nicht dein Ernst, oder?
Danke fürs Lesen-lassen, hab ich gern gelesen! Crime, Sex und Mittelmeer.....einfach nur schön.«
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Eine der besten Geschichten hier.
Das sollte man verfilmen. Ein Erotik-Thriller mit etwas mehr nackter Haus als sonst :)«
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Vielen lieben Dank von Peter
einfach Fantastisch!«
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